002 - Der Unheimliche vom Todesschloß
sehr zufrieden sein, Gautier. Weißt du übrigens, daß wir verreisen müssen? Heute gegen abend?«
»Wohin?«
»Ich glaube nach Versailles.«
»Was? So weit? Weshalb?«
»Ein neuer Auftrag. Es soll einer der letzten sein.«
»Und dann?«
»Dann will Eliza sich zur Ruhe setzen.«
»Mit dir?«
»Natürlich mit mir«, begehrte Lewis Rattigan auf. »Wir sind reich. Wir können überall wohnen mit unserem Geld.«
»Und ich?« keuchte das Monster. »Nehmt ihr mich mit?«
»Auf keinen Fall. Wir werden in den elegantesten Orten der Welt leben.«
»Laßt ihr mich hier auf der Burg?« fragte der Häßliche.
Lewis Rattigan schwieg.
»Rede, was geschieht mit mir?«
Der Tod Gautiers war längst beschlossene Sache. Aber das brauchte er noch nicht zu wissen.
»Natürlich kannst du auf der Burg bleiben«, murmelte Rattigan. »Warum nicht, Gautier?«
»Dann muß ich nie mehr in den Spiegelsaal«, flüsterte der Häßliche. »Nie mehr wird sie mich mit der Peitsche zwingen, mich in den Spiegeln zu betrachten.«
»Nie mehr, Gautier!« bestätigte Rattigan.
***
Ronald La Roche bewohnte bei Versailles ein Herrenhaus. Lewis Rattigan beobachtete es mit dem Fernrohr, das Eliza ihm gegeben hatte.
Vor kurzem hatte ein Wagen gehalten. Eine elegante Dame war ausgestiegen.
Das muß sie sein, dachte Rattigan.
Gautier hinter ihm im Fond rührte sich nicht. Vielleicht war er eingeschlafen. Manchmal vergaß Rattigan, daß Gautier überhaupt ein Mensch aus Fleisch und Blut war. Hin und wieder schien es, als würde Gautier über Stunden nicht atmen. Aber wenn Rattigan ihn rief, war er hellwach.
Wir müssen noch Geduld habe, dachte Rattigan.
Er beobachtete durch dis Fernglas, wie der Mann und die Frau Champagner tranken, wie sie tanzten, wie sie einander liebkosten.
Lewis Rattigan wurde es heiß und kalt, als er zusah.
Dann hatte er das Gesicht der Frau so deutlich vor sich, als müßte er nur die Hand ausstrecken, um es zu berühren.
Er schaltete die Taschenlampe ein und betrachtete sekundenschnell das Foto von Madeleine Riquette.
Ja, die Besucherin von Ronald La Roche war ohne Zweifel der berühmte Revuestar.
Die Ehefrau von Gautier.
Erst jetzt begriff er den Plan Elizas in seiner ganzen Tragweite. Gautier würde seine heißgeliebte Madeleine umbringen, ohne es zu wissen.
Heftige Heiterkeit, ein Lachreiz ohnegleichen ergriffen Rattigan, doch er zwang sich, Gautier nicht mißtrauisch zu machen. Es war ganz gut, daß er da hinten hockte und schlief.
Er würde Gautier erst wecken, wenn die Riquette im Schlafzimmer war. Wenn alle Lichter im Haus ausgeschaltet waren.
In der Nacht, dachte Rattigan, sind alle Katzen grau. Und ein weiblicher Körper fühlt sich im Dunkeln genauso an wie jeder andere. Oder wird Gautier den Körper seine Madeleine in der Finsternis erkennen?
***
»Nie verlasse ich dich, nie…«, murmelte Madeleine.
Ronald La Roche hatte ihr eine zweireihige, sündhaft teure Perlenkette um den Hals gelegt. Er bedeckte die schöne Frau mit Küssen.
Madeleine Riquette wußte, daß sie ihm die Perlen bezahlen mußte. Es war immer dasselbe. Nach jedem kostbaren Geschenk verlangte er sein Recht.
Madeleine zeigte ihm nicht, wie überdrüssig sie seiner war. Nun, die letzten Male wollte sie noch nachgiebig sein. Sie hatte ihn über. Er bot ihr nichts Neues mehr.
Als der Mond fahl am Himmel stand, ließ Ronald La Roche von ihr ab. »Ich bringe mich und dich um, falls du dich von mir trennen willst, Madeleine!« weinte er.
Madeleines Augen wurden kalt und zornig, doch er sah es nicht.
»Rede nicht solchen Unsinn, Cheri!« sagte sie. »Wer wird denn vom Umbringen sprechen?«
Ronald betrachtete ihren nackten Körper. Sie war ein Kunstwerk, edel in den Formen. Ebenmäßig und glatt war ihre Haut. Sie wirkte noch wie ein junges Mädchen, obwohl sie schon Mitte Dreißig war. Keiner sollte sie so sehen.
»Warum kannst du deinen Mann nicht endlich für tot erklären lassen und mich heiraten?«
Wie gut, daß ich noch mit Gautier verheiratet bin, dachte Madeleine. Diese Tatsache schützt vor allzu stürmischen Liebhabern.
»Es besteht ja die Hoffnung, daß er zurückkehrt, Ronald«, sagte sie mit rauchiger Stimme. Sie gähnte. »Aber nun bin ich müde. Ich muß gleich morgens nach Paris, wie du weißt. Um zehn Uhr ist Probe im Theater.«
»Ich fahre dich hin.« Er küßte sie. »Adieu, Madeleine. Schlaf gut. Ich liebe dich. Ich bete dich an!«
Endlich war Ronald La Roche
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