0022 - Der Tod saß uns im Nacken
kommen Sie wegen dieses scheußlichen Mordes in Charrington«, wimmerte die eine und stöhnte ihre Schwester an: »Ethel, ich habe dir immer gesagt, wir werden noch Unannehmlichkeiten davon haben. Ach, unser guter Name, unser guter Ruf!«
Sie ließen uns dann doch hinein, und schließlich saßen wir in ihrem Plüschsalon auf Sesseln, die so staubig waren, dass man sie kaum zu berühren wagte.
»Sie haben also von dem Mordfall in Charrington gehört?«, begann ich.
»Wir lasen davon in der Zeitung.«
»Wussten Sie damals schon, dass Sie mit Milton Graves, also dem Ermordeten, verwandt sind?«
Miss Ethel, die die Energischere zu sein schien, antwortete: »Wir fürchteten es gleich, aber natürlich sprachen wir zu niemandem davon. Es ist unangenehm, in einen solchen Fall verwickelt zu werden.«
»Es ist anzunehmen, dass Mr. Graves ein größeres Erbe hinterlassen hat«, sagte ich, »und dass Sie als Erbinnen in Betracht zu ziehen sind.«
Hei, wie leuchteten ihre Augen auf! Gleichzeitig aber wurden sie sehr misstrauisch.
»Sind Sie wirklich von der Polizei?«, fragte die Ältere.
Ich zeigte meinen Ausweis.
»Wieso sprechen Sie von größerem Erbe?«, erkundigte sich Miss Ethel. »Soviel wir wissen, handelt es sich nur um eine völlig verschuldete Ranch.«
Ich beschloss, deutlich zu werden. »Sie wissen also bereits, was dort zu erwarten ist. Woher wissen Sie es? Wer hat es Ihnen gesagt?«
»Ich weiß nicht, ob wir darüber sprechen sollen«, zierten sie sich.
»Sie müssen«, erklärte ich knapp. »Sonst müsste ich Sie offiziell im Polizeipräsidium vernehmen.«
Das brach ihren Widerstand, und die Geschichte, die wir dann aus ihnen herausholten, war einfach, aber sie klang genau so, wie ich es erwartet hatte.
Ein Rechtsanwalt, ein gewisser Mr. Lewenacker, war an sie herangetreten und hatte sie von ihrer Erbmöglichkeit im Graves-Fall informiert. Er hatte eine Menge Grundbuchauszüge bei sich, aus denen selbst für die alten Damen klar wurde, dass das Erbe restlos verschuldet war. Lewenacker bot sich an, die Interessen der Damen zu vertreten. Er bekam sie dazu, ihm eine Abtretungserklärung zu unterschreiben.
»Haben Sie seine Adresse?«, fragte ich.
Sie konnten sie uns nennen. Wir dankten für die Auskunft, verabschiedeten uns, versprachen, dass ihnen nichts Böses geschehen würde, fischten uns ein Taxi und fuhren zu Mr. Lewenacker.
Es gibt Anwälte von verschiedenen Sorten. Viele sind großartige Leute, aber hin und wieder sind welche darunter, die ihr Diplom jedem zur Verfügung stellen, der es bezahlen kann. Mr. Lewenacker gehörte ohne Zweifel zu jener Sorte. Er war ein kleiner glatzköpfiger Mann, der irgendwie schmuddelig wirkte.
Ich kann wohl sagen, das es ihn ziemlich erschütterte, als wir uns als Beamte der Bundespolizei vorstellten. Wahrscheinlich war seine Praxis in dunklen Geschäften bisher zu klein gewesen, als dass er mit Kollegen von uns je zu tun gehabt hätte.
»Es handelt sich um die Geschwister Graves«, erklärte ich. »Sie haben sich von ihnen eine Vollmacht ausstellen lassen, dass Sie die Ansprüche der beiden älteren Damen in der Erbschaftssache Graves vertreten dürfen. Wir möchten diese Vollmacht sehen.«
Er wagte keinen Widerspruch, sondern wühlte eifrig in seinen unordentlichen Papierbergen, brachte schließlich einen mit der Schreibmaschine beschriebenen Bogen zu Tage und reichte ihn uns zögernd.
Ich las den Wisch durch, unter dem die Namen der beiden Schwestern standen. Ich bin kein Jurist und verstehe nichts von rechtlichen Kniffen und Schlichen, aber hier genügte der gesunde Menschenverstand, um herauszulesen, dass die Graves-Fräulein um das Erbe beschwindelt werden sollten. Der entscheidende Absatz, der dem Notar Handlungsfreiheit gab, lautete: »Die Unterzeichneten sind damit einverstanden, dass Mr. Lewenacker sich in ihrem Namen um den Zuspruch des Erbes bemüht und dass er ihnen das Erbe selbst oder den Gegenwert in Bargeld aushändigt.«
Ich ließ das Blatt sinken, fasste den kleinen Anwalt ins Auge und fragte: »In wessen Auftrag haben Sie sich das Dokument besorgt?«
Er versuchte eine Flucht ins Amtsgeheimnis.
»Das kann ich Ihnen leider…«
»Fangen Sie bloß nicht diese Tour an«, stoppte ich ihn. »Beantworten Sie meine Frage. Wer ist Ihr Auftraggeber?«
»Ich kenne ihn nicht«, antwortete er kleinlaut. »Ich bekam den Auftrag telefonisch. Den Spesenvorschuss erhielt ich in einem Umschlag mit der Post. Am Telefon nannte sich der Mann
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