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0022 - Der Todesfluß

0022 - Der Todesfluß

Titel: 0022 - Der Todesfluß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Friedrichs
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zog sich die Kapuze der Jacke über den Kopf. Mit Fährkunden brauchte er vorläufig nicht zu rechnen. Niemand wollte sich jetzt noch übersetzen lassen. Alle Einwohner von Soranges waren bei der Ratssitzung versammelt, wo es wieder zu hitzigen Diskussionen kommen würde.
    Sinnierend betrachtete Professor Zamorra die dunkelgrauen Wellen, die gegen den Rumpf der Fähre schlugen und dabei schmatzende Laute verursachten. Das Land am Fluß wirkte nicht weniger grau als die Fluten. Der Regen erstickte das frische Grün, das die Weiden noch am Tage zuvor gezeigt hatten. Mehr als andernorts konnte ein Mensch in diesem Landstrich zur Melancholie neigen.
    Eine Stimme erscholl so unvermittelt, daß Zamorra unwillkürlich zusammenzuckte. »Hoool’ über! Fährmann, hoool’ über…«
    Verdutzt wandte Zamorra den Kopf, spähte angestrengt zum jenseitigen Flußufer.
    Und tatsächlich war dort im Grau des Regens die dunkle Silhouette eines Mannes zu erkennen. Der Mann schwenkte beide Arme über dem Kopf und wiederholte seinen Ruf, der durch die Luftfeuchtigkeit überdeutlich klang.
    Zamorra reagierte nicht sofort. Er mußte an Manoir denken, als dieser in der Nacht aufgetaucht war und behauptet hatte, er müsse jemanden übersetzen. Zamorra fragte sich ernsthaft, ob er jetzt selbst einem solchen Trugschluß erlag, der ihm auf tückische Weise von den Mächten der Finsternis vorgegaukelt würde.
    Er griff mit der Rechten unter die Jacke, tastete nach dem Amulett und spürte die beruhigende Kraft, die davon ausging.
    »Hoool’ über!« erscholl wieder der drängende Ruf.
    Die Silhouette des Mannes am anderen Ufer verschwand nicht.
    Kurzentschlossen löste Zamorra die Leinen und betätigte den Steuermechanismus der Fähre. Langsam, ruckend setzte sich das schwere Wasserfahrzeug in Bewegung, wurde von der Strömung erfaßt und zunehmend schneller auf das Ostufer zugeschoben.
    Der Mann, der drüben wartete, ließ nun die Arme sinken. Von der Flußmitte aus sah Zamorra ihn bereits deutlicher. Klobige, derbe Arbeitsstiefel, dunkelgraues Drillichzeug und eine abgegriffene Schirmmütze. Groß und knochig ragten die Hände des Mannes aus den Jackenärmeln. Sein Gesicht lag im Schatten des Mützenschirms.
    Erst als die Fähre sich dem Ufer näherte, erkannte Zamorra dieses Gesicht. Lederartige Haut mit tiefen Furchen zeigte, daß der Mann sein Leben größtenteils im Freien zugebracht haben mußte. In Wind und Wetter…
    Die Fähre rumpelte auf die Uferböschung, die mit Beton befestigt war. Zamorra löste die Seile, die die Rampe heruntersinken ließen.
    Dann eilte er von Bord und schlang die Taue geschickt um die Poller.
    Der alte Mann sah ihm mit starrer Miene zu und setzte sich dann in Bewegung. Dumpf polterten seine Stiefel auf die Holzplanken der Fähre. Wie selbstverständlich trat er auf die Steuerhebel zu und wollte danach greifen.
    Professor Zamorra begriff. Seine Ahnung bestätigte sich in diesem Augenblick. Zwei, drei kraftvolle Sätze genügten, und er war wieder auf der Fähre.
    »Zurück!« befahl er mit schneidender Stimme.
    Der alte Mann wandte nur kurz den Kopf. Ein höhnisches Grinsen lag jetzt in seinen faltigen Gesichtszügen. Seine knochigen Fäuste packten die Steuerhebel.
    Zamorra zögerte einen Moment. Er hatte die Taue um die Poller gelegt. Die Fähre konnte sich also nicht bewegen.
    Im nächsten Atemzug spürte er, wie ein Ruck durch das Wasserfahrzeug ging. Die Strömung packte zu.
    Ungläubig wirbelte Zamorra herum, sah, daß sich die Taue schlangengleich auf die Planken zurückwanden, wie von Geisterhand bewegt.
    Augenblicklich wurde Professor Zamorra ruhig. Nun hatte er Gewißheit, welches Mittel die Dämonen anwenden wollten. Physische Gewalt. Nur so glaubten sie, ihren Todfeind bezwingen zu können.
    Der alte Mann drehte sich um, stand mit dem Rücken vor dem Stahlgeländer. Sein verwittertes Gesicht war zu einer teuflischen Fratze verzerrt. Die kleinen Augen glühten voller Haß zwischen den Furchen seiner Lederhaut. Seine knochigen Hände bildeten Krallen, die an einen riesigen Greifvogel erinnerten. Geifer rann aus seinen Mundwinkeln.
    »Du bist Jacques Fourcher«, sagte Zamorra ruhig.
    Der Alte zuckte zusammen. Ein krächzender Wutschrei kam tief aus seiner Kehle. Er hob die Klauenhände. Sein knorriger Oberkörper beugte sich vor.
    Mit einem Ruck zog Zamorra das Amulett unter der Jacke hervor.
    Der Anblick des Talismans verfehlte seine Wirkung nicht.
    Fourcher stieß einen gellenden Entsetzensschrei

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