0025 - Der Satansdiener
verschollen. Das Reich der Dämonen ist groß, Zamorra. Es hat sein Paradies und seine Hölle, und es duldet niemanden in seinem Paradies, den es nicht gerufen hat.«
»Gibt es einen anderen Weg als den über das Meer?«
»Ich weiß es nicht. Vielleicht wird die sprechende Quelle uns den Weg weisen. Vielleicht… Versuchen wir es!«
Zamorra nickte.
Schweigend traten die beiden Männer auf die Höhle zu, tauchten in den unwirklichen Lichtschein der Grotte. Ein breiter, gewölbter Gang führte tiefer in den Berg hinein. Ganz deutlich spürte Zamorra, wie das Silber des Amuletts zu leben begann, und er hatte den Eindruck, dass überall an ihrem Weg winzige Lichtpunkte an den Wänden aufglimmten, um ihnen zu leuchten.
Er wusste nicht, wie lange sie gegangen waren, als sie eine Stelle erreichten, wo die Felsen einen natürlichen Torbogen bildeten.
Eine große Grotte tat sich auf. Links und rechts glänzten die Steine wie dunkler Marmor, die Decke verlor sich in gestaltloser Dunkelheit. Die phosphoreszierenden Funken waren erloschen, und dennoch erfüllte ein eigentümliches grünliches Licht die Höhle, das von überall zugleich, vielleicht aus der Luft selber zu kommen schien und die Männer einhüllte.
Zamorra wollte weitergehen – doch sein Schritt stockte, als er das eigentümliche Zischen und Fauchen hörte.
Dicht vor ihm schwebte plötzlich eine graue Rauchwolke in der Luft. Sie verdichtete sich, wurde dunkler, fast schwarz. Glühende Augen bildeten sich in ihrem Zentrum, weiße, blitzende Zähne.
Einen Moment lang verharrte die unheimliche Erscheinung reglos – und Zamorra hatte das Gefühl, dass die Augen genau auf das Amulett starrten.
Die Glut in den Pupillen erlosch.
Die Augen verschwanden, als hätten sich unsichtbare Lider darübergesenkt; der Rauch löste sich auf, und beim nächsten Atemzug erinnerte nur noch ein schwacher Schwefelgeruch an die Erscheinung.
»Die heilige Quelle«, sagte Alban de Bayard leise.
Er wies auf die Felsen, die im Hintergrund der Grotte eine Art Schale bildeten. Schwarz war der Stein, und schwarz war das Wasser. Ein unergründlicher, seit Jahrhunderten unberührter Spiegel, dunkel und fremdartig, drohend – und zugleich von einer seltsamen, unwiderstehlichen Verlockung, die sich Zamorra nicht erklären konnte. Reglos blieb er stehen, mit klopfendem Herzen, und blickte in die düstere, bodenlose Tiefe hinab.
»Berühre das Wasser mit dem Amulett«, sagte Alban leise. »Du brauchst nicht zu sprechen. Wenn die heilige Quelle uns Antwort geben will, wird sie unsere Gedanken lesen und unsere Fragen kennen.«
Zamorra nickte langsam.
Vorsichtig löste er das Amulett von seinem Hals, fasste es an der dünnen Kette. Behutsam senkte er sie über das Wasser – und hielt den Atem an, als der Talisman den schwarzen Spiegel berührte.
Es gab keine Wellen.
Reglos wie zuvor lag die Oberfläche des kleinen Sees. Aber rings um das Amulett begann ein seltsames Leuchten, breitete sich aus und verwandelte binnen einer Minute das schwarze Wasser in reines, schimmerndes Silber.
Es war ein Spiegel, in den sie blickten.
Aber er warf nicht ihre Gestalten zurück und auch nicht die Decke der Höhle. Er zeigte ein anderes Bild, eine andere Zeit.
Verschwommen tauchten Wände auf. Nicht der schwarze Felsen der Grotte, sondern graue Steinquader. Da waren Eisenstäbe, glänzend im Licht. Ein Tiger warf sich dagegen, wild, mit aufgerissenem Rachen, doch in gespenstischer Lautlosigkeit. Hinter dem Gitter stand eine Gestalt an der Wand, war mit schweren Ketten gefesselt – und Zamorra hatte das Gefühl, als ob das Blut in seinen Adern zu Eis gefriere.
»Nicole«, flüsterte er. »Nicole…«
Über einen Abgrund aus Raum und Zeit hinweg schien sie ihn anzusehen, die Augen aufgerissen vor Entsetzen. Ihre Lippen bewegten sich. Dann schloss sie die Lider, das Bild verschwamm, und ein anderes Gesicht schob sich dazwischen.
Hagere, knochige Züge.
Eine gebogene Nase, dünne Lippen und grausame gelbe Augen unter schrägen Brauen. Der Mund verzerrte sich, gab spitze, blendend weiße Zähne frei…
Alban de Bayard holte tief Atem.
»Geronimo Morgue«, sagte er leise. »Der Herr der Wölfe! Er muss über Jahrhunderte hinweg auf seine Rache gewartet haben. Ihn tötete ich damals mit dem Schwert des Feuers. Die Bestien, über die er gebot, verbannte ich in eine Höhle. Er aber sprach einen Fluch, den ich nicht lösen konnte. Für alle Ewigkeit sollten die Bestien weiterleben. Demjenigen, der sie
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