0026 - Die Braut des Henkers
Verstanden?«
»Ja, ich werde alles vergessen haben«, wiederholte der Priester mit eintöniger Stimme.
Der junge Richard starrte ihm noch einmal tief in die Augen, dann wandte er sich ab und huschte lautlos aus dem Haus.
Der Priester wollte ihn verfolgen, tat auch ein paar Schritte und blieb dann stehen. Verwirrt schloss er die Augen. Mit der Hand strich er sich über die Stirn. Was wollte er eigentlich hier unten? Er musste doch noch seine Sonntagspredigt beenden.
Kopfschüttelnd stieg er über die Treppe nach oben und setzte sich wieder an seinen Arbeitstisch.
***
Zamorra und Nicole sahen die Kirche schon von weitem. Es war ein kleiner, niedriger Bau, dem man die Jahrhunderte ansehen konnte, die er schon überdauert hatte.
Direkt daneben stand ein einstöckiges Gebäude, aus Natursteinen erbaut und von Moos überwuchert. Die kleinen Fenster in den Mauern wirkten wie Schießscharten einer Burg.
»Das müsste das Haus des Geistlichen sein«, äußerte Nicole Duval ihre Vermutung. »Dieser Sam hat so etwas angedeutet.«
Zamorra nickte.
»Sie haben wohl Recht, Nicole. Doch sehen Sie mal, der Pfarrer muss gerade Besuch gehabt haben.«
Die Haustür öffnete sich und ein junger Mann erschien. Die Tür fiel hinter ihm ins Schloss, und er blieb für einen Moment auf den Stufen der Eingangstreppe stehen. Lauernd schaute er in die Runde.
Wie ein Tier, dass wittert.
Nicole griff nach dem Arm ihres Chefs. Ihre Finger krallten sich in seine Muskeln. Ihr Gesicht hatte einen Ausdruck, der zwischen Schrecken und Verblüffung schwankte.
»Chef, sehen Sie doch. Wir kennen den Mann. Er war es, der vor der Tür gestanden hatte, als wir das Gasthaus verlassen wollten. Sie sind doch noch hinter ihm hergegangen und konnten lediglich sehen, wie er zwischen den Häusern verschwand.«
Zamorra erinnerte sich. Es stimmte. Er hatte sich noch gewundert, wie schnell der Mann sich bewegt hatte. Er zuckte die Schultern.
»Lassen Sie nur, Nicole. Es hat wahrscheinlich gar nichts zu bedeuten. Er wird es wohl eilig haben. Und warum sollte er nicht auch dem Geistlichen dieses Dorfes mal einen Besuch abstatten. Lassen Sie uns endlich zu diesem Priester gehen. Wir wollen doch noch frühstücken. Der Magen hängt mir schon bis in die Kniekehlen.«
Nicole lächelte besänftigend. »Wir haben es ja gleich geschafft, Professor. Noch ein wenig Geduld.«
Sie stiegen die Stufen zur Haustür empor. Zamorra klopfte laut und vernehmlich.
Es dauerte einige Sekunden, bis er und Nicole Schritte hörten, die sich der Tür näherten. Schritte verharrten kurz, dann wurde die Tür aufgerissen.
Ein großer und schlanker Mann in einer schwarzen Soutane stand vor Zamorra und seiner Assistentin. Das jungenhafte, aber auch schon von Sorgen gezeichnete Gesicht des Mannes verzog sich zu einem einladenden Lächeln.
»Guten Tag, Sir. Darf ich fragen, mit wem ich die Ehre habe?«
Der Professor stellte sich und seine Begleiterin vor. Dann erfuhr er den Namen des Priesters.
»Hochwürden, ich habe Sie aufgesucht, weil ich einer rätselhaften Angelegenheit auf der Spur bin und weil ich glaube, dass Sie mir bei ihrer Aufklärung helfen können.«
David Cornell lächelte. »Rätselhafte Angelegenheit – das klingt wie ein großes Geheimnis. Und da soll ich, der Priester einer winzigen Landgemeinde, helfen können? Mit Verlaub, Professor, das klingt für mich wie ein Witz. Worum geht es überhaupt?«
»Vor einiger Zeit ist doch hier in diesem Dorf am Strand eine männliche Leiche gefunden worden. So weit ich orientiert bin, war sie auf bestialische Weise zugerichtet. Irgendwer oder irgendwas hat ihr den Kopf abgehackt und neben den Körper gelegt. Im Zusammenhang damit habe ich mich umgehört und dabei erfahren, dass das nicht der erste Todesfall dieser Art gewesen ist. Weiterhin erfuhr ich, dass man hier eine Erscheinung beobachtet haben will. Ein weibliches Wesen, so eine Art Gespenst, das hier von Zeit zu Zeit umgehen soll. Auch hörte ich von einem Henkerbeil, das in Ihrer Kirche aufbewahrt werden soll. Ich möchte Sie nur bitten, mir einiges über die Vergangenheit dieses Dorfes zu erzählen und mir vielleicht Zugang zu den Archiven, falls es welche gibt, zu verschaffen.«
Das Gesicht des Priesters wurde ernst. Er hatte sich ruhig alles angehört und den Professor nicht unterbrochen. Jetzt räusperte er sich.
»Das ist sehr interessant, was Sie mir da erzählen, Professor. Von diesem Spuk habe ich in der Tat schon gehört, gesehen habe ich ihn noch nie.
Weitere Kostenlose Bücher