0026 - Maringo, der Höllenreiter
Winter – es war alles gleich in diesem Land ohne Sonne und Gestirne. Immer wieder suchten meine Blicke den Horizont ab. Und plötzlich glaubte ich, etwas zu erkennen. Ich blieb stehen.
Vor mir – weit in der Ferne – sah ich einen Punkt. Es konnte ein Mensch sein, aber auch ein Stein, der dort in die Höhe ragte. Meine Blicke wanderten nach links. Ich tat dies nicht bewußt, doch da sah ich den zweiten Punkt. Aus der Entfernung gesehen glich er dem ersten aufs Haar. Einer plötzlichen Idee folgend wandte ich mich um. Auch weit hinter mir standen zwei Figuren! Ich war eingekreist und fühlte mich als Mittelpunkt eines unsichtbaren Quadrats. Kamen die Figuren näher?
Ich wollte es herausfinden und blieb erst einmal stehen. Eine fiebernde Spannung erfaßte mich. Nach der Zeit der Öde und Leere würde endlich etwas geschehen. Vorbereitet war ich auf alles.
Und sie näherten sich. Nicht sehr schnell, nein, sie ließen sich Zeit, sie wußten ihr Opfer in der Falle. Je näher sie kamen, um so besser und klarer konnte ich sie sehen. Sie lösten sich aus dem Schatten des Horizonts, und ich erkannte, daß es Reiter waren, die sich näherten. Vier Reiter! Aber kein Hufschlag war zu hören. Die Pferde schienen den Boden gar nicht zu berühren, sie schwebten über die glatte Fläche hinweg. Alles ging in gespenstischer Lautlosigkeit vor sich.
Ich hatte die Lippen zusammengepreßt und atmete flach. Wohin ich mich auch wandte, immer hatte ich zwei Reiter im Rücken. Ein unangenehmes, bedrohendes Gefühl. Angst beschlich mich.
In meinem Nacken sammelten sich die Schweißtropfen. In kalten Bahnen liefen sie mir den Rücken hinab. Wie sollte ich mich gegen vier Reiter zur Wehr setzen? Und sie kamen näher. Lautlos, gespenstisch…
Wer von ihnen war der Höllenreiter? Befand er sich vor mir? Oder in meinem Rücken? Vielleicht war er auch gar nicht dabei…
Nur mit äußerster Konzentration bewahrte ich die Nerven. Mein Hals war trocken, und ich stand wie ein Denkmal, wartete die Ankunft der vier Reiter ab. Ich maß die Entfernung mit irdischen Einheiten. Zwanzig, dreißig Yards trennten die vier Reiter noch von mir. Noch immer vernahm ich keinen Laut. Dann verhielten die Reiter ihre Pferde. Sie standen still, beobachteten mich nur. Auch meine Blicke wanderten über die dämonischen Gestalten. Zuerst sah ich die beiden vor mir an. Irgendwie kamen sie mir bekannt vor. Verzweifelt begann ich zu überlegen, wo ich diese Reiter schon einmal gesehen hatte. Ich zermarterte mir regelrecht das Gehirn. Sie trugen Rüstungen, die von ihren Körpern nicht viel sehen ließen. Die Hände waren mit Eisenhandschuhen bedeckt, und in den Fäusten hielten die Reiter Lanzen. Pechschwarz waren die Pferde. Die Augen in den langgezogenen Köpfen glühten. Langsam drehte ich mich um.
Die anderen Reiter waren ähnlich gekleidet. Auch ihre Körper steckten in Rüstungen. Der Reiter rechts von mir hielt ein Schwert in der rechten Hand, unter seinem Kopfschutz vermeinte ich, einen Totenschädel schimmern zu sehen, konnte mich aber auch täuschen.
Der andere trug eine Peitsche. Sie hatte lederartige Schnüre, an deren Enden Stahlkugeln eingedreht worden waren.
Niemand der Reiter traf Anstalten, mich anzugreifen.
Stumm standen sie vor mir.
Auch ich sprach kein Wort, atmete flach, aber in meinem Gehirn wirbelten die Gedanken. Beinahe schmerzhaft fragte ich mich, wo ich diese Reiter schon gesehen hatte.
Ich ließ fast all meine Fälle vor meinem geistigen Auge Revue passieren, zu einem Ergebnis gelangte ich nicht.
Und doch hatte ich sie bereits gesehen!
Und da traf mich die Erkenntnis. Wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Plötzlich wußte ich Bescheid.
Meine Gedanken wanderten zurück in die normale Welt. Ich sah mich vor einem Geschichtsbuch sitzen, das über einen Abriß des Mittelalters berichtete.
Ein paar Seiten waren dem Maler Albrecht Dürer gewidmet.
Er hatte in seiner Glanzzeit einen Holzschnitt angefertigt: Die vier apokalyptischen Reiter!
Die Apokalypse – der Weltuntergang. Dürer hatte das Grauen eingefangen in seinem Holzschnitt.
Die Reiter waren die Vorboten der Apokalypse! Sie leiteten den Weltuntergang ein.
Und ich – John Sinclair – stand vor ihnen!
Plötzlich wurden mir die Knie weich. Das Wissen um diese vier apokalyptischen Reiter überwältigte mich. Sie geisterten durch die Geschichte, quälten die Menschen in ihren Träumen und hatten den Maler Albrecht Dürer zu seinem Holzschnitt inspiriert.
War er ihnen
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