0028 - Wir - in den Katakomben von Paris
kann.«
Ghergieff wurde freundlicher. »Ich will es Ihnen sagen. Seit rund vier Jahren liegt die ›Y‹ an dieser Stelle, und seit dieser Zeit hat niemand den Besitzer des Bootes gesehen. Manchmal brennt Licht auf dem Kahn. Man sieht es, wenn es durch die Ritzen der Vorhänge schimmert. Oft scheint wochenlang niemand an Bord zu sein. Hin und wieder fährt der Kahn ab, immer nachts. Er bleibt wochenlang fort, oder aber er liegt bereits am anderen Morgen wieder an seinem Platz, aber niemand hat je den Mann gesehen, der ihn steuert.«
»Hören Sie, Mr. Ghergieff«, unterbrach Phil den Levantiner. »Das ist doch Unsinn. Wenn ein Boot ablegt, müssen die Leinen losgeworfen werden. Wenn jemand das Boot verläßt, muß er den beleuchteten Kai überqueren. Er muß gesehen werden.«
»Einen Augenblick, bitte!« fuhr Ghergieff dazwischen. »Ich war noch nicht fertig. Man interessiert sich hier für seine Nachbarn. Die ›Y‹ wurde gründlich beobachtet. Okay, man sah den Mann, der die Leinen loslöste, aber dieser Mann war nicht der Eigentümer. Es war ein weißbärtiger, verknitterter Bursche. Und was das Ankommen und Verlassen des Kais angeht, so geschieht das immer per geschlossener Limousine. Und wenn Sie glauben, man könnte sich einfach beim Hafenamt erkundigen, wer die Liegegebühren für die ›Y‹ überweist, so haben Sie natürlich recht, aber Sie bekommen nur die Auskunft, daß das Boot einem Monsieur Jean Dubois gehört, und das ist in Frankreich ein genauso alberner Name wie bei Ihnen in den Staaten John Miller.«
»Schön, aber das ist für Mr. Starp schließlich kein Grund, verlegen zu werden.«
»Warten Sie es doch ab!« fauchte der kleine Levantiner mich an. »Starp hatte vor einem runden Jahr einen jungen Landsmann an Bord, irgendeinen jungen übermütigen Amerikaner mit zuviel Geld und zuviel Langeweile und zu wenig Arbeit. Der Typ von Bursche, wie Sie es auch sind. Hieß Teddy Doon, wenn ich mich recht erinnere. Teddy also erklärte, er würde das Geheimnis der ›Y‹ lüften, und er würde es fertigbringen, den Eigentümer von ›Y‹ in eine von Starps Gesellschaften zu schleppen. Starp, dessen Einladungen nie beantwortet worden waren, bot eine Wette an. Doon nahm an und begann den Detektiv zu spielen. Er tauchte in den Pariser Nächten unter, erschien von Zeit zu Zeit wieder, grinste und sagte, er würde es schon noch herausfinden. Er fand es aber nicht heraus. Im Gegenteil, er wurde eines Tages tot aus der Seine gefischt.«
Ich stieß einen langen Pfiff aus. »Und?« fragte ich.
»Undl« ahmte Ghergieff mich nach. »Nichts und. Die Polizei stellte fest, daß Doon maßlos betrunken gewesen sein mußte, als er in die Seine fiel. Verletzungen konnten nicht festgestellt werden. Es meldeten sich zwei Kneipenwirte aus dem fünften Bezirk, die aussagten, daß Teddy sich in ihren Bistros eine Menge Alkohol einverleibt hatte. Außerdem fand man seine Leiche ein gutes Stück stromaufwärts vom Port de Plaisir. Ein Zusammenhang mit der ›Y‹ konnte nicht erwiesen werden. Ich glaube auch nicht, daß irgendwer aus Doons Bekanntenkreis, der ja gleichzeitig der Bekanntenkreis von Starp war, so unfair war, durch leichtsinnige Erzählungen der Polizei gegenüber Starp Schwierigkeiten zu machen. Immerhin, unter sich waren sich die Leute darüber einig, daß Starps Wette den leichtsinnigen Teddy mehr oder weniger in den Tod getrieben hatte. Starp empfand es wohl ähnlich, denn er kann es nicht gut vertragen, wenn von der ›Y‹ gesprochen wird, und der Kahn selbst ist nach dieser Geschichte nur noch geheimnisvoller geworden. Niemand traut sich mehr an ihn heran.« Er grinste. »Wollen Sie es nicht versuchen? Vielleicht hält Starp oder sonst jemand eine Wette?«
Ich schüttelte lachend den Kopf. »Hören Sie, Mr. Ghergieff, ich bin zum Vergnügen hier.«
Es war fünf Uhr morgens. Der Kai war leer. Die vielen eleganten Wagen waren verschwunden. Sie hatten ihre Last von müde getanzten, schmuckbeladenen Frauen, von heiser gelachten Männern mit weich gewordenen Smokingkragen in ihre Stadtwohnungen oder zu ihren Jachten zurückgebracht.
Phil und ich waren die letzten, die von Bord gingen, Arm in Arm, und ein wenig mußten wir uns anstrengen, um nicht zu schwanken.
Als das Fest schon zu Ende ging, hatte sich in der Bugkajüte, die Starps Privatbar enthielt, eine Gruppe zusammengefunden, und man hatte genug getrunken. Zakolkow, der Russe, trank Wodka, und als er schon betrunken war, würzte er ihn mit Pfeffer
Weitere Kostenlose Bücher