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0028 - Wir - in den Katakomben von Paris

0028 - Wir - in den Katakomben von Paris

Titel: 0028 - Wir - in den Katakomben von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Delfried Kaufmann
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38er.
    Überall waren Warnungsschilder angebracht, deren Texte ich mühselig entzifferte. Es wurde gewarnt, die Seitengänge zu betreten. Man solle immer dem schwarzen Strich nachgehen, der an der Decke den Weg bezeichne. Es war verboten, die Kerzen und Taschenlampen bereits in den elektrisch beleuchteten Teilen des Katakombensystems anzuzünden.
    Die elektrische Beleuchtung war spärlich genug. Sie beschränkte sich praktisch auf die steile und glitschige Treppe, die in engen Kehren fast an die hundert Stufen abwärts führte. Unten umfing die Besucher vollkommene Finsternis. Die Kerzen und Taschenlampen flammten auf. Vor mir kicherte eine Gruppe englischer College-Girls, hinter mir machte ein junger Mann dumme Witze und versuchte, seine Begleiterin durch Buh-Rufe zu erschrecken. Die Gänge waren breit und relativ trocken. Ich erkannte sofort, daß sie in der gleichen Art errichtet waren wie jener Gang, in dem Phil und ich bereits einmal unfreiwillig gewesen waren.
    Laufend zweigten rechts und links Seitengänge ab, die sich allerdings, wenn man sie näher anleuchtete, fast immer nur als Nischen entpuppten. Einige dieser Nischen waren außerdem durch Gitter vom Hauptweg abgesperrt.
    Der Hauptweg senkte sich ständig. Ein- oder zweimal führten auch noch kürzere Treppen abwärts. Da der Eingang in der Nähe des Montparnasse, einem der Hügel von Paris lag, die Katakomben aber an ihrer tiefsten Stelle unter dem Bett der Seine verliefen, mußten wir uns zeitweise ein beachtliches Stück unter der Erde befinden.
    Zunächst waren noch keine Knochen und Schädel aufgestapelt, dann aber erreichten wir die eigentliche Schädelstätte, und nun weitete sich die Anlage und wurde unübersichtlich. Die College-Klasse vor mir verstummte, und auch der junge Mann vergaß seine Witze angesichts dieser immensen Sammlung von menschlichen Überresten. Immer wieder Knochen und Schädel, Schädel und Knochen zu mannshohen Stapeln geschichtet oder so entlang den Wänden aufgebaut, daß man glauben mußte, die Knochen selbst bildeten diese Wände. Fast zwei Stunden dauerte der Weg, und mehr als eine Stunde lang führte er durch das eigentliche Ossarium. Die meisten atmeten auf, als sie weit vom Eingang entfernt wieder ans Tageslicht gelangten.
    Am Nachmittag gab es eine zweite Besichtigungsmöglichkeit. Dieses Mal stand ich zwischen einer Gruppe von Indern und den Mitgliedern einer deutschen Reisegesellschaft. Ich fürchtete ein wenig, daß die Wärter der Anlage mich wiedererkennen könnten, aber keiner von ihnen zeigte die Spur eines Interesses. Wieder stieg ich die gewundene Treppe hinunter. Ich hatte beim ersten Besuch die Beobachtung gemacht, daß sich in dem Gang die Schlange der Besucher kräftig auseinanderzog. Ich nutzte das aus, ging langsam und ließ mich immer wieder überholen. Als wir den Knochenfriedhof erreichten, befand ich mich mit Sicherheit im letzten Drittel der Besuchergruppe. Da am Schluß immer ein Aufseher ging, mußte ich versuchen, ihn passieren zu lassen, ohne daß er mich bemerkte. Die geeignete Stelle hierzu hatte ich mir bei dem ersten Gang bereits ausgesucht. Es war ein mehr als drei Yard hoher und fünf Yard breiter Knochenberg, der so weit von der Wand entfernt lag, daß ich mich dahinter stellen konnte. Ich blieb an dieser Stelle stehen, betrachtete interessiert einen Schädel und ließ einen Mann und eine Frau, die hinter mir gingen, passieren. Dann trat ich schnell in das Versteck, bevor die nächste Gruppe, deren Kerzen schon im Gang schimmerten, heran war. Ich hörte, wie sie vorübergingen. Es folgten noch zwei oder drei Dutzend Leute, und dann sah ich das Acetylenlicht des Aufsehers. Er schlurfte an meinen Versteck vorüber, ohne den Kopf zu wenden. Es hatte geklappt.
    Ich wartete länger als eine Stunde. Nach dieser Zeit mußte der letzte Besucher die Katakomben verlassen haben, und es war nicht anzunehmen, daß einer der Aufseher noch einmal hier vorbeiging. Ich war allein in einem System von unterirdischen Gängen, das sicherlich mehr als fünf Meilen lang war.
    Obwohl ich bis zur nächsten Führung rund sechzehn Stunden zur Verfügung hatte, wäre es hoffnungslos gewesen, in dieser Zeit nach einer Verbindung zu jenem Geheimgang zu suchen, aber wir hatten uns ausgerechnet, daß ich meine Untersuchungen auf einen bestimmten Bezirk der Katakomben beschränken konnte.
    Da wir annahmen, daß der Gang der Algerier zur Seine führte, mußte er parallel zu jenen, offiziellen Katakombengängen laufen,

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