003 - Im Kabinett des Grauens
sich als Erdstrahler ausgab, der an der Universität in Eton studiert
habe, und jetzt durch das Land reiste, um die Bevölkerung vor den gefährlichen
Erdstrahlen zu schützen. Gegen eine kleine, freiwillige Gebühr vergrub er an
den gefährlichen, strahlenden Stellen kleine Kupferrollen, die er zuvor in
einem Kaufhaus in der Nachbarschaft entwendet hatte, die einen Wert von ein
paar Cent hatten und die Tom durch seine Entstrahlungstheorie zum Vielfachen
des ursprünglichen Wertes verkaufte.
Tom
Riggins war der Polizei und Scotland Yard nicht unbekannt. Man kannte seine
kleinen Gesetzesübertretungen – und doch ließ man ihn auf freiem Fuß. Tom hatte
einen guten Kontakt zur Unterwelt, und von ihm war – gegen gute Bezahlung, denn
er machte grundsätzlich alles zu Geld – schon manch guter Tipp gekommen, der
Licht in den einen oder anderen Fall gebracht hatte, und dessen Aufklärung
wichtiger als die Gesetzesübertretungen des Diebes war.
Tom
war schmal, hatte schütteres Haar und ein auffallend spitzes, pfiffiges
Gesicht. Er sprach sämtliche Landesdialekte, und er konnte sich schriftlich
ebenso gut ausdrücken, wenn es sein musste. Im Augenblick hatte Tom in Longtown
zu tun, einer Kleinstadt an der schottischen Grenze, die einen etwas dörflichen
Charakter hatte.
Es
war Abend. Tom Riggins zog fröstelnd die Schultern hoch. Er hatte nur einen
dünnen Mantel über seinem ebenso dünnen Anzug an.
Feiner
Nieselregen fiel vom grauen Himmel. In den Häusern brannte schon überall Licht.
Die
Menschen, die sich zu diesem Zeitpunkt am Stadtrand von Longtown aufhielten,
waren zu zählen. Tom achtete nicht auf die Menschen und die Umgebung. Sein
Gehirn hinter der niedrigen, flachen Stirn arbeitete mit der Präzision einer
Maschine. Tom befand sich aus einem besonderen Grund hier in Longtown. Er hatte
einen Tipp von einem Hehler bekommen. In Longtown gab es das berühmte
Wachsfigurenkabinett von Mr. Flemming. Ähnlich wie Madame Tussaud hatte
Flemming ein Kabinett eingerichtet, in dem man – im wahrsten Sinne des Wortes –
das Gruseln lernen konnte. Während bei Madame Tussaud die höchsten
Persönlichkeiten aus Politik, Kunst und Literatur in Wachs verewigt waren, gab
es bei Mr. Flemming Gestalten ganz eigener Art zu sehen. Er hatte sich darauf
spezialisiert, die Bösewichte nachbilden zu lassen, die während der letzten
fünf Jahre Schlagzeilen für die Kriminalgeschichte lieferten. Tom Riggins hatte
in Erfahrung gebracht, dass Mr. Flemming besondere Sorgfalt auf die Ausstattung
seiner Figuren gelegt hatte. Es war ihm gelungen, in der Hauptsache die
Originalkleidungsstücke und einen Großteil des Besitzes der Mörder, Kidnapper
und Raubmörder aufzutreiben, die vor gar nicht langer Zeit ihr Unwesen
getrieben, Angst und Schrecken verbreitet hatten.
Tom
Riggins ging durch eine schmale, dunkle Seitenstraße, in der am vordersten Ende
eine einsame Gaslaterne brannte, die ihren grünlichweißen Lichtstreifen in den
flachen, wallenden Nebelschwaden verbreitete, die ständig dichter wurden.
Er
beschleunigte seine Schritte. Sie hallten auf der Straße. Waren das einzige
Geräusch, das diese menschenleere, verlassene Gegend erfüllte.
Irgendwo
wurde ein Fenster geschlossen, ein ferner Ruf aus einer abgelegenen
Seitenstraße drang an sein Ohr und verstummte ...
Am
Ende der Straße wandte sich Tom nach rechts. Die Straße stieg hügelig an, an
ihrer Seite standen nur noch vereinzelt ein paar alte Wohnhäuser, teilweise
noch im Fachwerkbau. Ein windschiefer Schuppen schloss sich an eines der
unansehnlichen Häuser an, es knackte und knirschte in dem Gebälk.
Zielstrebig
setzte Tom seinen Weg fort.
Mr.
Flemmings Wachsfigurenkabinett lag außerhalb von Longtown. Tom hatte sich genau
erkundigt. Er hatte den Stadtplan von Longtown studiert, und jetzt wollte er
sich einen letzten Eindruck an Ort und Stelle bilden. In der Theorie lag der
Plan bereits in allen Einzelheiten fest. Wenn Tom einen Coup vorhatte, dann
beschäftigte er sich ständig damit und schob ihn nicht auf die lange Bank. Er
brachte jedes Unternehmen so schnell wie möglich zum Abschluss. Und wenn er
alles vorfand, wie er aufgrund des Gesprächs mit seinem Hintermann erwartete,
dann würde Mr. Flemmings Wachsfigurenkabinett noch an diesem Abend um ein paar
tausend Pfund erleichtert werden. Wenn es wirklich stimmte, dass Flemming
Privatbesitz der von ihm nachgebildeten Gestalten aufgetrieben hatte, dass sie
sogar Originalschmuckstücke trugen, dass es Waffen
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