0030 - Am Morgen meiner Hinrichtung
war, sich gegen eine Übermacht von gleichaltrigen Jungen erfolgreich zur Wehr zu setzen, wehrte er sich überhaupt nicht mehr. Vielleicht hatte er erfahren, daß er noch am billigsten wegkam, wenn er sich nicht wehrte. Niemandem macht es Spaß, jemanden zu verprügeln, -wenn der sich flach auf den Boden legt, nicht wehrt und von vornherein aufgibt. Auch Bigo, der Sohn einer anderen Indianerfamilie, ein übler, rauflustiger Bursche, hörte davon. Vielleicht sah er Juan auch ein- oder zweimal in einer Ecke sitzen und lesen. Kurz und gut: Bigo beschloß, da er Juan schon nicht verprügeln konnte, weil dieser sich ja nie wehrte, ihm einen empfindlichen Schaden auf andere Weise zuzufügen.
An einem Sonntag, als er auf der Plaza des Dorfes eine Kapelle zum Tanz aufspielte, hockten die Kinder — und auch der inzwischen etwa zwölfjährige Juan — in gebührender Entfernung von den Erwachsenen und sahen mit weit aufgerissenen Augen dem lustigen Treiben zu. Sie sahen zum erstenmal die bunten Uniformen der Musiker, die der Plantagenbesitzer aus der Hauptstadt heraufgeholt hatte, um seinen Geburtstag zu einem kleinen Volksfest für die Plantagenarbeiter zu machen. Es mochte wirklich niemand bemerkt haben, daß Bigo sich plötzlich davonschlich. Vielleicht aber wußten auch die anderen Jungen von Bigos Plan und bemühten sich, sein Verschwinden sorgfältig zu vertuschen.
Juan hockte ahnungslos auf einem groben Feldstein, etwa zwanzig Meter von den übrigen Kindern des Dorfes entfernt, und starrte gebannt auf die feurigen Tänze der Dorfbewohner. Hin und wieder mag er auch einen verstohlenen Blick zu der kleinen Juanita hinübergeworfen haben. Sie war die Tochter eines Aufsehers, im gleichen Alter wie Juan und, wie man sich erzählt, schon als Kind eine auffallende Schönheit. Aber Juanita hatte keine Augen für den häßlichen Juan. Sie steckte häufig mit dem großgewachsenen hübschen Bigo zusammen, der ein Kerl war wie ein Baum.
Um sechs Uhr erschien der Plantagenbesitzer auf der Plaza. Er setzte sich in einen bequemen Korbstuhl, den ihm seine Diener vom Hause gebracht hatten, und nahm die Glückwünsche seiner Arbeiter entgegen, die sich mit demütig gezogenen Strohhüten vor ihm verneigten und ihre Segenswünsche murmelten. Jeder einzelne gratulierte, jeder Mann, jede Frau, jedes Kind. Und immer noch fiel es keinem auf, daß Bigo fehlte. Als die Zeremonie vorüber war, verkündete der Séñor, daß es Wein für die Erwachsenen und süße Limonade für die Kinder gebe. Und da schleppten die Diener auch schon die großen Ziegenschläuche auf die Plaza und teilten aus.
Das Fest wurde lauter und hitziger. Südländisches Temperament und der Wein wirkten zusammen. Und plötzlich stand die kleine Juanita mitten auf der Plaza und tanzte für den Señor. Sie war ein gut gewachsenes, bildschönes Mädchen, und sie wußte schon mit zwölf Jahren, daß sie verteufelt hübsch war.
Plötzlich stieg hinter den Hütten des Dorfes Rauch auf. Man merkte es erst, als es schon eine ganz beachtliche Rauchsäule war, die kerzengerade in der windstillen Luft stand. Alles rannte davon. Juan war allen voran, denn der Rauch kam aus der Gegend, wo die Hütte seiner Pflegeeltern stand.
Und da sah er auch schon, was geschehen war. Direkt vor dem Hause seiner Pflegeeltern brannte ein großes Feuer aus dürren Zweigen von Kaffeesträuchern. Und darin lagen seine Bücher, zerfetzt, damit sie schneller und besser brennen konnten.
Juan stürzte sich ins Feuer. Barfuß sprang er in die Flammen. Die Dorfbewohner schrien, daß es weithin durch die plötzliche Stille hallte. Ein beherzter Mann trat vor und riß den sich Sträubenden aus dem Feuer zurück. Nur mit Mühe war Juan davon abzuhalten, wieder in das Feuer hineinzulaufen. Man schleppte Wasser herbei und bemühte sich, das Feuer einzudämmen, damit es wenigstens nicht auf die Hütten übergreife. Es gelang, aber Juans Bücher waren verbrannt.
Und für Juan waren es ja mehr gewesen als nur ein paar Bücher. Selbst wenn man davon absieht, unter welchen Bedingungen er sie sich erworben hatte: Da jeder verdiente Céntimo in ihnen angelegt worden war, wird man doch begreifen, was Juan verlor, weil es ja seine einzigen Freunde gewesen waren.
An diesem Tag ging eine Wandlung mit dem kleinen häßlichen Juan vor. Er sprach zu niemanden mehr, als unbedingt nötig war. Vom nächsten Geld, das er erhielt, ließ er sich von den Einkäufern des Dorfes aus der Stadt einen indianischen Dolch mitbringen.
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