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0034 - Das Teufelsauge

0034 - Das Teufelsauge

Titel: 0034 - Das Teufelsauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Saupe
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zu erwachen. Der Bogen zitterte noch ein paarmal über die Saiten. Ein paarmal noch zuckten die Füße vom Boden auf. Dann ließ die Alte den Arm mit der Geige sinken. Die rechte Hand, die den Bogen hielt, kam langsam nach vorn.
    Jetzt zeigte der Geigenbogen direkt auf Carmela.
    »Bist schönes Mädchen«, sagte die Alte.
    Carmela lächelte verlegen. »Sind Sie La Zanuga, Frau?«
    »Ach was!« krächzte die Alte. »Bin ich La Zanuga, jajaja. Aber sag ›Du‹ zu mir, sag ›Du‹ zu La Zanuga. Die Zigeunerin mag schöne Mädchen. Und du bist sehr schön. Wie ist dein Name?«
    »Carmela.«
    »Schöner Name«, sagte die Alte. »Schönes Mädchen mit schönem Namen. Sag mir, wohin du gehst, Carmela.«
    »Zur Stadt, La Zanuga.«
    »Aha, zur Stadt«, brummelte die Zigeunerin. »Gehst ganz zu Fuß zur Stadt. Von wo kommst denn?«
    »Von Amarante«, sagte das Mädchen wahrheitsgemäß. Die Antworten kamen wie von allein. Ohne Überlegung. Und wer nicht überlegen konnte, war auch keiner Lüge fähig. Wer aber La Zanuga belügen wollte, müßte schlauer sein als sie.
    So eine merkt alles. Sie weiß, wenn du lügst. Also sag ihr die Wahrheit.
    So dachte Carmela, als sie La Zanugas Fragen hörte und ihr antwortete.
    Sie hatte auch keinen Grund, der Alten zu mißtrauen. Hatte sie die Gegend nicht von den Vampiren befreit?
    »Von Amarante also kommst«, sagte La Zanuga. »Aber kommst nicht zu Fuß? Die ganze Strecke, die weite Strecke, den heißen Weg, auf heißen Steinen?«
    »Nein«, gab Carmela zurück. »Bin mit dem Bus gekommen. Aber es war so heiß und stickig darin, und man konnte die Fenster nicht öffnen.«
    »Weiß ich, weiß ich«, sagte La Zanuga. »Weiß ich gut. Ist nicht gut, in diesen fahrenden großen Kästen. Ist viel besser zu Fuß. Hast gute Luft, hast Sonne, hast Schatten, immer wie du willst.«
    »Ja, La Zanuga.«
    »Und nun? Gehst nach Hause?« fragte die Zigeunerin und trat näher.
    »Ja. Zu der Schwester. Und die Brüder kommen heut auch.«
    »Schön, sehr schön. Und was tust denn sonst in der Stadt Porto?«
    »Ich muß zu dem Capitano. Ihm zwei Bücher bringen. Vom Dr. Capoa.«
    »Ay ay? Ist er der Bruder vom Capitano, der Doktor?«
    »Ja«, sagte das Mädchen.
    »Und du, mein schönes Mädchen, bist Schwester bei deinem Doktor, ja?«
    »Ja, richtig.«
    »Und gehst in die Stadt, und gehst den Waldweg. Und kommst auf dem Hügel vorn an der Hütte der Grisalda vorbei. Weißt, warum ich frag?«
    »Nein«, sagte Carmela. »Woher soll ich das wissen?«
    »Weil ich dich bitten will, der Grisalda was zu bringen.«
    »Ist sie denn krank?« fragte das junge Mädchen.
    La Zanuga nickte.
    »Ja, ist krank. Ist noch jung, aber ist krank. Und keiner hilft ihr. Ist der Mann weit im Wald, viele Wochen. Muß die Rinden schneiden und den Kork stechen. Für die Flaschen mit dem dunklen, roten Wein. Kommt selten nach Hause. Bring ich Wein und Brot der Grisalda. Willst du’s ihr bringen für mich?«
    »Ja, gern, La Zanuga«, sagte das Mädchen spontan.
    »La Zanuga hat getanzt. Hat alte Füße. Ganz wunde Füße. Bin ich dir dankbar, schöne Carmela, wenn du gehst für mich und bringst, was Grisalda braucht.«
    »Ja, sehr gern«, sagte das Mädchen wieder.
    ***
    Aber die Zigeunerin ließ das Mädchen noch nicht ziehen.
    »Setz dich her, Mädchen«, sagte sie. »Setz dich her ins Gras und hör dir ein Lied an. Werd ich spielen extra für dich. Weil du so gut bist und mir hilfst, meine Füße zu schonen. Spiel dir ein Lied, ganz traurig und süß von der Liebe. Spiel dir ein anderes Lied, ganz lustig und wild.«
    La Zanuga fing an zu spielen.
    Das Mädchen hörte der süßen, wehmütigen Melodie zu. Dann sprang es auf.
    Carmela verspürte plötzlich den Drang, nach La Zanugas Melodie zu tanzen!
    Langsam drehte sie sich im Takt.
    »Dreh dich, Mädchen!« rief die Zigeunerin. »Dreh dich und singe, Carmela!«
    Allmählich begann die junge Schwester, La Zanugas einheimelnde Melodie mitzusummen. Die Zigeunerin sang aus voller Kehle.
    Und dann wurde der Tanz immer wilder.
    Carmela drehte sich wie ein Kreisel, schneller und schneller. Die wilde Musik drang ihr ins Blut, ließ sie keine Pause machen.
    Endlich, nach mehr als zwanzig Minuten, ließ sich das Mädchen ins hohe Gras niedersinken.
    La Zanuga griff in die unergründlichen Tiefen ihrer weiten, schweren Reifröcke. Als ihre Hand wieder zum Vorschein kam, sah Carmela eine Weinflasche darin.
    Die Alte setzte den Korken an den Mund und riß ihn mit einem Ruck ihrer

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