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0034 - Das Teufelsauge

0034 - Das Teufelsauge

Titel: 0034 - Das Teufelsauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Saupe
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löcherigen Zähne heraus.
    Dann reichte sie die Flasche dem Mädchen.
    »Trink, Mädchen«, sagte sie.
    Carmela schüttelte zuerst den Kopf.
    »Willst nicht?« fragte die Zigeunerin. »Mußt trinken. Ist guter Wein, schwer und süß. Aber geht nicht in Kopf, Mädchen. Geht in die Beine und läßt sie weitertanzen. Ist bester Wein, so dunkelrot wie feuriges Blut der Zigeuner.«
    Da nahm das Mädchen der Alten die Flasche aus der Hand und setzte sie an den Mund.
    Langsam, in kleinen Schlucken, begann sie zu trinken. Es war ein Portwein vom besten Jahrgang. Das wußte Carmela, auch wenn sie in Hinsicht auf gute Weine nicht gerade verwöhnt war. Bei ihr zu Hause reichte es meistens nur für den billigsten Tafelwein.
    Das dunkle, süße Naß belebte ihre Kehle und ihren ganzen Körper. Ein Geschmack von Würzkräutern war in dem Wein, den sich das Mädchen nicht erklären konnte.
    Sie erhob sich wieder, und La Zanuga spielte eine langsame Melodie. Leise, aber ganz eindringlich.
    Und wieder drehte sich Carmela im Takt. Langsam diesmal, genau wie die leichte Melodie. Anfangs glaubte sie, der Wein werde ihr zu Kopf steigen.
    Aber La Zanuga hatte recht. Der Wein machte die Beine mobil.
    Man mußte einfach tanzen.
    Das Mädchen tanzte, und bei jeder Drehung nahm sie einen Schluck des köstlichen Weins. Sie merkte gar nicht, daß sie die Flasche fast nie mehr absetzte.
    Nach weiteren zehn Minuten war die Flasche leer.
    »Ich muß gehen«, sagte Carmela.
    »Geh, Mädchen«, antwortete La Zanuga. »Hast viel getanzt, hast viel vom guten Wein getrunken. Schwer und dunkel und feurig wie das Blut der Zigeuner.«
    »Ich werde Grisalda die Sachen bringen. Wo hast du sie, La Zanuga?«
    Die Alte zeigte auf einen kleinen Korb, der seitlich im Schatten der Bäume stand.
    »Nimm das Brot und den Wein«, sagte die Alte. »Und sage Grisalda, sie wird bald gesund.«
    »Danke, La Zanuga«, sagte Carmela. Dann packte sie das Brot und den Wein aus dem Korb der Zigeunerin in ihre Tragetasche. Direkt neben die Bücher, die Dr. Capoa ihr für seinen Bruder mitgegeben hatte.
    Das Mädchen lief los. Leichtfüßig und unbeschwert. Der Wein hatte ihr nicht nur zum Tanzen verholfen. Er hatte auch ihre Zunge gelöst. Die ganze Zeit über hatte sie La Zanugas Lied mitgesungen.
    Und jetzt, auf ihrem Weg hinunter zur Straße, sang sie noch immer.
    Sie sang, als sie aus dem Wald trat und die Stadt Porto vor sich liegen sah.
    Sie sang, als sie den Fischerhafen in der Ferne erkannte und weit draußen auf dem Atlantik die großen Frachter und die weißen Schiffe der reichen Leute, die über alle Meere fahren konnten.
    Dann tauchte die ärmliche Hütte der jungen Frau vor ihr auf, die sie besuchen sollte. Grisalda, die Frau des Korkstechers, der oft über viele Wochen in den Wäldern war.
    Zuerst zu Grisalda also, sagte Carmela zu sich. Und dann zum Capitano, zu Idor Capoa. Ihm die Bücher bringen.
    Und dann endlich nach Hause. Auf die Brüder warten.
    Sie ging zu Grisalda.
    Aber sie sollte weder bei Kapitän Capoa noch bei ihren Brüdern jeweils wieder ankommen.
    ***
    Ein wenig schüchtern klopfte das Mädchen an die Tür zu Grisaldas Hütte. Die Tür gab sofort nach. Sie hing nur lose in den Angeln und klaffte gleich nach dem Klopfen nach innen auf.
    Carmelas Augen mußten sich, nach dem flimmernden Sonnenlicht im Freien, zuerst an die Dunkelheit des einzigen Raums im Innern gewöhnen.
    »Wer ist da?« fragte eine leise Stimme von der Wand her.
    Carmela sah ein dichtes Bündel von Decken und Ziegenfellen, die wahllos übereinander geworfen waren.
    Eine junge Frau lag auf diesem Bündel und starrte auf die Besucherin.
    »Ich bin Carmela«, sagte das Mädchen. »Schwester Carmela. Ich wohne hier in Porto. Mit meiner älteren Schwester und den Brüdern. Aber ich arbeite oben in Amarante, im Hospital. Es heißt das ›Hospital zu den Heiligen Aposteln‹.«
    »Kenne ich nicht«, sagte Grisalda mühsam. »Will ich auch nicht kennen. Und eine Krankenschwester brauche ich auch nicht.«
    »Ich komme nicht als Schwester zu Ihnen«, sagte Carmela.
    »So?« fauchte die junge Frau plötzlich los. »Und was willst du dann hier, he? Schnüffeln, ob Grisalda schon abgekratzt ist? Willst mir wohl meine drei Habseligkeiten aus dem Haus stehlen, he? Willst es ausnutzen, daß der Mann im Wald ist? Scher dich hinaus, Schwester, oder ich mache dir Beine!«
    Die junge Frau wurde plötzlich von einem Hustenanfall gequält.
    Schnell trat Carmela an ihr Lager und versuchte, die Frau

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