0037 - Panik in Tokio
kreuzförmigem Griff, magische Kreide, Gnostische Gemmen und andere Utensilien lagen in den einzelnen Fächern.
Unter der linken Achselhöhle steckte die mit Silberkugeln geladene Beretta in meiner Schulterhalfter.
Ich sah auf das leichtbewegte Meer nieder. An den Riffen, zweihundertfünfzig Fuß unterhalb der Klippenkante, schäumte es. Die japanische Inlandsee trennte die Hauptinsel Honschu von Schikoku.
Reger Schiffsverkehr herrschte bei der einige Kilometer entfernten Hafeneinfahrt. Ich schaute zum Himmel hinauf. Er war klar und fast wolkenlos. Hell leuchtete die Frühlingssonne.
Als Tomoe den Cha, den grünlichen, leicht bitteren Tee fertig hatte, begann Eisai Kaoru mit der Hauptzeremonie. Er trat an den Klippenrand, die Teeschale in den erhobenen Händen. Sein weißer Bart umwehte seinen Kopf.
Der Führer der Kamikaze-Bruderschaft goß das Trankopfer für den Taifun-Dämon aus, sprach feierlich Kamikazes Namen, trank selbst einen Schluck von der heißen Flüssigkeit und entleerte sie über die Klippenkante. Er intonierte den Anrufungsgesang, in den seine drei Adepten und die bei beim Kohlebecken hockende Tomoe einfielen.
Sie reckten die Arme gen Himmel.
»Kamikaze«, verstand ich immer wieder. »Daymio Kamikaze!«
Der Seewind wurde weder stärker noch schwächer. Immer dringender riefen die Mitglieder der Kamikaze-Bruderschaft den Elementargeist an. Immer eindringlicher verlangten sie nach ihm.
Suko und ich schwiegen, um die Zeremonie nicht zu stören. Erst zum Schluß sollten wir einstimmen und Kamikazes Namen rufen. Wir mußten unseren Geist freimachen von allen anderen Gedanken, von aller Furcht und Selbstsucht.
Auf Kamikaze mußten wir uns konzentrieren und ihn mit ganzer Kraft herbeirufen.
Ein Adept warf regelmäßig eine Handvoll Kräuter auf das Kohlebecken, und grünlicher Dampf stieg empor und verwehte im Wind. An die vier Stunden verstrichen, die ersten Anzeichen von Müdigkeit machten sich bemerkbar.
Da gab Eisai Kaoru uns das vereinbarte Zeichen. Er winkte uns mit der Rechten zu, die aus dem weiten blauen Kimonoärmel hervorragte, und hob sofort wieder die Arme.
Nun reckten auch Suko und ich die Arme empor.
»Kamikaze!« riefen wir. »Erhabener Dämon Kamikaze, Herr der Lüfte, komm! Zeig uns dein Gesicht!«
Alle boten sämtliche Kräfte auf, um den Taifun-Dämon herbeizuwünschen. Zum mehr als hundertsten Mal rief Eisai Kaoru die vorgeschriebene Beschwörungsformel. Zwei Adepten legten kostbare Geschenke an den Rand der Klippe, goldene Becher, Schmuck und Armreifen, aber auch Reis, Fleisch, Früchte und Sake. Diese Opfergaben waren für Kamikaze bestimmt.
Es sauste und brauste in der Luft. Schneller, als man es beschreiben kann, verfinsterte sich der Himmel über uns. Es wurde kalt, eine Windbö fauchte uns ins Gesicht. Dunkelheit umgab uns, wir konnten nur noch wenige Meter weit sehen.
Regen und Hagel schlugen uns ins Gesicht. Luftturbulenzen zerrten an unseren Kleidern, und die Kimonos Kaorus, seiner drei Adepten und Tomoes bauschten sich und flatterten. Tomoe sprang zur Seite, denn aus dem Eisenbecken flogen die glühenden Kohlen.
Im nächsten Moment folgte ein besonders heftiger Windstoß und wirbelte uns die Opfergaben um die Ohren. Ich schützte mein Gesicht mit den Unterarmen. Der Sturm wurde so heftig, daß ich mich dagegen anstemmen mußte, um nicht davongeweht zu werden.
Tomoe und die drei Adepten lagen flach auf der Felsenklippe. Suko bot dem Sturm die Stirn, außer ihm Eisai Kaoru. In dem hageren, ausgemergelt erscheinenden Körper des alten Zen-Meisters steckten erstaunliche Kräfte.
Der Orkan riß ihm die Worte vom Mund und verwehte sie. In der Düsternis vor uns, im Brausen des Sturmes, manifestierte sich ein Gesicht. Es war nicht immer deutlich erkennbar. Riesengroß war es. Ich sah zwei Augen, eine Nase und einen Mund, so groß wie eine Höhle, aus der der Sturmwind pfiff.
Massig war dieses düstere Gesicht, es wirkte unwirsch. Eine Windbö fauchte uns an, und wir alle verstanden die Worte, die fast unsere Trommelfelle sprengten.
»Ihr Würmer, was wagt ihr, mich zu stören? Verschwindet, oder ich werfe euch ins Meer!«
Wieder blies und wehte der Orkan uns fast um. Die Opfergaben hatte Kamikaze verschmäht, sie waren über die gesamte Umgebung verstreut. In der magischen Sphäre des Taifun-Dämons verstand ich auch Eisai Kaorus japanische Worte.
»Großer Kamikaze, nicht um zu freveln, nicht mutwillig rufen wir dich an. Nippon schwebt in einer großen
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