0039 - Turm der Verlorenen
soll dort nämlich spuken. Und nicht nur das – schreckliche Dinge sollen dort geschehen. Man sagt sogar, dass dort schon Leute spurlos verschwunden sind. Sollten Sie sich aber von Ihrem Vorhaben nicht abbringen lassen, so empfehle ich Ihnen, sich eine Ausrüstung zu besorgen, mit der Sie auch draußen übernachten können. Sie werden nämlich niemanden finden, der Sie bis dorthin bringt und vielleicht sogar auch noch abholt.«
Zamorra machte eine ärgerliche Handbewegung. »Vielen Dank für Ihren Rat. Sie kennen also das Dorf. Weiß man Genaueres über die Ereignisse dort?«
Der Mann hinter dem Pult schüttelte den Kopf. »Genaues nicht. Man hört nur so einiges. Überzeugen Sie sich doch selbst.«
Zamorra nickte. »Das werde ich auch tun. Morgen ganz bestimmt.«
Dann deutete er eine knappe Verbeugung an und folgte dem Pagen, der voranging. Als sie das Zimmer erreicht hatten, drückte Zamorra dem Boy ein paar Münzen in die Hand und gab ihm den Auftrag, all das heranzuschaffen, was man für die Nacht und die Morgentoilette braucht. Der Page versprach es und verschwand.
Nach zehn Minuten war er wieder da. Man schien in diesem feudalen Hotel auf solche Fälle vorbereitet zu sein.
Als der Bursche gegangen war, schloss Zamorra hinter ihm ab. Er war todmüde und musste unbedingt einige Stunden schlafen. Dann wollte er sich auf den Weg in die Höhle des Löwen machen.
Der Professor zog sich aus und probierte den Pyjama an, den der Page ihm besorgt hatte. Anscheinend hatte der junge Mann noch nicht das richtige Augenmaß für Konfektionsgrößen, jedenfalls war der Schlafanzug mindestens zwei Nummern zu klein.
Zamorra verzichtete darauf und schlüpfte nackt unter die Bettdecke. Er löschte das Licht und wollte gerade einschlafen, als ihn ein dröhnendes Gelächter, das von draußen hereindrang, hochfahren ließ.
Mit einem wahren Panthersatz schoss Zamorra aus dem Bett und sprang ans Fenster. Mittlerweile war bereits die Nacht hereingebrochen, und das Wetter hatte sich gebessert. Es regnete nicht mehr, und der Himmel war wolkenfrei.
Zamorra riss das Fenster auf und beugte sich hinaus.
Er fröstelte, doch nicht wegen der Kälte.
Zwei Stockwerke tiefer im Garten des Hotels sah er einen schwarzen Schatten über die vom Mond beschienene Wiese wandern.
Dem Bild nach zu urteilen waren es zwei fliegende Ungeheuer, die zwischen sich eine menschliche Gestalt trugen…
***
Es war kalt und der Himmel war grau. Zamorra zog den Reißverschluss seines Armeeparka zu und blickte mit gemischten Gefühlen hinter dem klapprigen Wolga her, mit dem er bis hierher gelangt war.
Es hatte ihn in Bukarest einige Mühe und vor allen Dingen Geld gekostet, bis er jemanden gefunden hatte, der ihn in Richtung des Dorfes Valice brachte. Endlich hatte er Glück gehabt und einen ziemlich versoffenen Burschen namens Branko überreden können.
Der Kerl war arbeitslos, zumindest sagte er das, und er schien auch nicht allzu viel von einer geregelten Tätigkeit zu halten. Jedenfalls war er beim Aushandeln des Fahrpreises äußerst geschäftstüchtig und schien von solchen Gelegenheitsjobs nicht schlecht zu leben.
Zamorra hatte noch mit ihm ausgehandelt, dass er ihn nach drei Tagen an der gleichen Stelle wieder abholen sollte. Die Stelle bezeichnete eine Wendebucht der holprigen Landstraße etwa fünfzehn Kilometer von Valice entfernt. Sollte der Professor nicht da sein, so solle Branko alles vergessen und sich nicht weiter darum kümmern.
Allerdings sollte er mindestens sechs Stunden an der Stelle warten.
Das konnte der Professor auch verlangen bei dem, was der Rumäne für sein Entgegenkommen verlangte.
Bald schon war der Wagen hinter einer Bodensenke verschwunden und tauchte auch nicht wieder auf. Zamorra wusste, dass er jetzt ganz auf sich allein gestellt war und dass er nun von keiner Seite Hilfe erwarten konnte.
Er hatte noch versucht, etwas über das rätselhafte Dorf in Erfahrung zu bringen, doch viel hatte er nicht erreichen können. Nie hätte er geglaubt, dass die Leute so abergläubisch waren.
Zamorra wusste zwar, dass es Dinge gab, die man nicht unbedingt mit normalen Maßstäben messen konnte, doch war er der Realität verhaftet und vermutete nicht unbedingt ein Geheimnis, wenn er einen Sachverhalt nicht auf Anhieb erklären konnte. Vielmehr bemühte er sich, so genannten Geheimnissen mit kühler Logik auf die Spur zu kommen. Dass das nicht immer der richtige Weg war, bewiesen die Abenteuer der Vergangenheit, doch das waren
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