004 - Der Dämon mit den Totenaugen
dem rechten Fuß suchte er die Bremse, fand sie und trat darauf.
Der Ford Mustang rutschte auf dem glitschigen Boden noch einige Zentimeter
weiter abwärts und kam in die Nähe eines langen, weitverzweigten Astes. Das
kalte Holz des Obstbaumes streifte über die Kühlerhaube, berührte die obere
Fläche der Stoßstange, kam in bedrohliche Nähe der Folie – und blieb hängen,
ohne die hochexplosive Schicht anzukratzen.
X-RAY-1 hatte das Geräusch gehört und erkannte, dass sich ein harter
Gegenstand oberhalb der Stoßstange verfangen hatte. Der Blinde schloss die
zitternden Augenlider und lehnte sich in die weiche Polsterung zurück. Sekunden
verstrichen. Er wagte kaum, sich zu rühren. Die geringste Erschütterung konnte
ausreichen, um das Inferno auszulösen. Er musste raus aus dem Wagen, er musste
herausfinden, wo er sich befand. Er war früher aus der Ohnmacht erwacht, als
seine Gegner erwartet hatten. Instinktiv hatte sein Bewusstsein die Gefahr
erkannt; aus der wallenden Finsternis, dem Ozean der Schmerzen waren klare
Gedanken an die Oberfläche seines Bewusstseins gedrungen und hatten seine
Handlungen bestimmt.
Doch noch war die Gefahr nicht gebannt, auch wenn es ihm gelungen war, den
Wagen zu stoppen.
Sehr vorsichtig öffnete er die Tür, nach Möglichkeit jede Erschütterung
vermeidend. Er stieg aus, löste sich langsam von dem Ford Mustang, ohne die Tür
wieder zuzuschlagen. Er wusste nicht, wo er gelandet war; er musste mit allem
rechnen, mit jeder möglichen Gefahr, und er ahnte nicht, wie recht er damit
hatte ...
Die kalte, scharfe Nachtluft kühlte sein erhitztes Gesicht. Er fühlte die
Schottersteine unter seinen Füßen.
Er rief. Nicht sehr laut, doch so, dass er am Echo erkennen konnte, ob er
sich in freier Landschaft außerhalb von New York befand oder am Rand einer
Wohngegend. Er erkannte, dass Häuser in der Nähe sein mussten.
Aber warum antwortete ihm niemand? David Gallun ging langsam über den
Schotterweg; er erreichte das Ende und fühlte die harten, steinernen Treppen
vor seinen Fußspitzen. Ein Haus?
Er stieg vorsichtig nach oben, drei, vier, fünf, sieben Stufen. Dann eine Tür.
Die Tür ließ sich öffnen. Auf sein Anklopfen hatte niemand reagiert. Kalte
Zugluft schlug ihm entgegen.
David Gallun versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen. Es gelang ihm
nicht. Er war überlastet, überanstrengt und verletzt. Er ging durch einen breiten
Korridor. Wieder eine Treppe. Er stieg hinauf, später wieder herunter. Er
bewegte sich in einem großen Haus, und doch waren darin keine Menschen.
Immer wieder Zugluft. Einmal glaubte er, im Keller zu sein, ein andermal im
zweiten, im dritten oder gar im vierten Stock, wenn er die Treppenstufen
zusammenzählte.
Und immer wieder diese Kälte, diese Zugluft, so, als stünden in diesem
verlassenen Haus tausend Fenster offen.
Er verirrte sich in dem Gebäude, etwas, was ihm unter normalen Umständen
niemals passiert wäre. Seine Aufnahmefähigkeit und seine Konzentration waren
zusammengebrochen. Er erkannte, dass er manchmal eine Tür öffnen konnte,
während andere wieder verschlossen waren. Er irrte durch das Labyrinth von
Räumen, Korridoren, Treppenaufgängen ...
David Gallun befand sich in einem zum Abbruch bestimmten Haus. Er hielt
sich im Augenblick im vierten Stockwerk des baufälligen Gebäudes auf. Die
senkrechten Wände fehlten zum großen Teil, nur noch Mauerreste standen und
ließen den Blick frei in ehemalige Wohnräume, wo Wasserleitungen und Gasrohre
aus dem Putz herausgerissen waren, wo oftmals nur noch die Böden über den
Eisenträgern lagen, die wie starre, verrostete Riesenarme unter dem Mörtel
hervorragten. David Gallun kam durch eine Tür im vierten Stockwerk; mit
tapsenden Schritten bewegte er sich in einem Zimmer, das praktisch nur noch aus
dem Boden und der hintersten Wand bestand. Die drei anderen Seiten fehlten. Er
bewegte sich auf den Abgrund zu ...
●
Larry Brent fuhr herum, als habe ihn eine Natter gebissen. Er sah die
tastende Hand, den Arm, der sich jetzt aus dem sich verbreiternden Spalt schob
und die Grabplatte immer mehr zur Seite drückte. Die mannshohe Platte schwang
nach außen, sie war wie eine Tür an einem großen Scharnier befestigt. Es knackte
und knirschte in den Fugen, dass Larry das Gefühl hatte, die ganze Wand hinter
ihm müsse auseinanderplatzen.
Etwas Weißes kam zum Vorschein, eine Gestalt, umwickelt wie eine Mumie.
Sie murmelte etwas – Wortfetzen, herausgestoßen, als kämen sie
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