004 - Geister im Moor
erschienen, mehrere hundert Menschen, und alle gingen sie wie in Trance. Den Trauergottesdienst hielt der Pfarrer eines Nachbarortes. Der Pfarrer von Guilclan lag seit vierzehn Tagen im Krankenhaus der nächsten größeren Stadt, wie ich erfuhr, und er wurde in nächster Zeit nicht zurückerwartet. Es gelang mir nicht, mit Betty zu sprechen, aber sie flüsterte mir im Vorübergehen zu, sie würde mir bald Bescheid geben, und ich war schon froh, nicht ganz ohne ein Wort von ihr den Friedhof zu verlassen.
Von den Ludmar – Leuten hatte sich niemand blicken lassen, aber als ich später von einem Spaziergang zum Fischerdorf zurückkehrte, begegnete mir Guatl. Er war wirklich eine auffallende Erscheinung mit seinem klugen Gesicht, den langen Haaren, der braunen Haut und den leuchtenden schwarzen Augen.
Ich hatte persönlich keinen Grund, für eine der beiden Familienclane Partei zu ergreifen, die sich gegenseitig so hassten, aber meine Sympathien galten vielleicht doch mehr den Salforth – wegen Betty natürlich.
Guatl blieb stehen und begrüßte mich. »Nun, was macht Ihr Buch?« fragte er dann.
Ich ging auf seine Frage nicht ein, sondern fragte ihn rundheraus: »Sagen Sie, was geht hier eigentlich vor? Sie müssen es doch wissen, da Sie ein Zauberer sind.«
Guatl senkte die Lider und sah mich aus halbgeschlossenen Augen an. »Was hier vorgeht? Wichtige Dinge vielleicht. Es gibt da möglicherweise noch alte Rechnungen zu begleichen, sehr alte Rechnungen. Aber Sie mischen sich besser nicht ein, wenn Ihnen Ihr Seelenfrieden lieb ist.« Und damit drehte er sich einfach um und ging rasch davon.
Ich blieb stehen und sah ihm verblüfft nach. Welch ein merkwürdiger Mensch! Ich schüttelte den Kopf und setzte meinen Weg fort. Da ich nicht recht wusste, was ich bis zum Abendessen tun sollte, stattete ich Peter Gilcross einen Besuch ab.
Gilcross saß wie üblich in seiner Ecke zwischen zwei staubbedeckten Bücherstapeln. Heute las er jedoch nicht. Er hatte den Kopf auf die Hände gestützt und machte einen ganz und gar niedergeschlagenen Eindruck. Merkwürdigerweise schien ihn mein Besuch aufzumuntern.
Wir unterhielten uns eine Weile über das Wetter, und währenddessen betrachtete er mich irgendwie abwägend. Dann sagte er plötzlich: »Als Sie anfangs einmal danach fragten, habe ich Ihnen gesagt, das ich keine Schriftstücke über die Geschichte von Guilclan hätte. Das stimmte nicht. Sehen Sie, wir misstrauen allen Fremden, das haben Sie sicher gemerkt. Inzwischen kenne ich Sie besser, und ich werde Ihnen ein interessantes Manuskript zeigen.« Er holte ein schmales, in Naturleder gebundenes Buch hervor, sehr alt und stark vergilbt. »Es stammt aus dem 14. Jahrhundert und berichtet von den Ereignisses, die sich kurz zuvor abspielten, sowie von Ereignissen, die länger zurücklagen. Lesen Sie erst diese Seiten hier in der Mitte.«
Ich nahm das Manuskript in die Hand. Die Schrift, ein wenig blass und verschnörkelt, war immer noch gut lesbar. Es machte mir auch keine Mühe, das Altenglisch zu verstehen, in dem der Text geschrieben war, da ich mich oft mit alten Schriften und Büchern befasst hatte. Ich erinnerte mich gut daran, um das Wesentliche dieses Schriftstücks wiedergeben zu können, und ich werde mich bemühen, es im Stil des Schreibers zu tun, so gut ich kann:
Am 15. Februar dieses Jahres 1320 geschah etwas außerordentlich Unangenehmes, das furchtbare und erschröckliche Folgen haben sollte. Ludmilia, die sehr feine und edle Tochter des hochadeligen Herrn Eric Salforth, wurde um die vierte Nachmittagsstunde von einer Reitersgruppe geraubt und entführt, als sie sich in Begleitung ihrer Gouvernante im Schlosspark von Roaldmor erging. Alle Zeugen, an erster Stelle die Gouvernante, bestätigten übereinstimmend, das die Gruppe von Reitern aus Gefolgsleuten des Edelmannes Moro Ludmar bestand – verflucht sei seine Seele – und das sich besagte Gruppe in Richtung des Schlosses besagten Edelmannes begab, das sich auf dem Heideland oberhalb der alten Stadt von Guilclan befindet.
Als dieses dem hochgeborenen Herrn Eric Salforth zu Gehör kam, erfüllte ihn heftiger Zorn und große Traurigkeit, und er schwor alsbald grausame Rache. Seit vielen Jahren schon herrschte Unstimmigkeit zwischen den beiden Edelleuten, aber niemals zuvor war es zu solchen Untaten gekommen wie der Entführung eines unschuldigen jungen Edelfräuleins. Nach diesem Vorfall und solcher Kränkung war es jedem klar, das der Streit zwischen
Weitere Kostenlose Bücher