004 - Kerry kauft London
spannte sie jedoch nicht lange auf die Folter. »Meine Herren!« sagte er mit seiner klangvollen Greisenstimme, und es trat augenblicklich Ruhe ein. »Meine Herren! Ich glaube, Sie haben ein Anrecht darauf, zu erfahren, daß Herr Kerry mein Geschäft gekauft hat.«
Ein dumpfes Gemurmel von Glückwünschen war zu hören und hier und da ein Aufatmen der Erleichterung. Aber zu welchem Preis? Es war eigentlich kaum anzunehmen, daß der alte Herr, der sein Leben lang so zurückhaltend und verschlossen gewesen war, jetzt mit einemmal mitteilsam sein würde; und doch war es zur allgemeinen Überraschung der Fall.
»Herr Kerry war so freundlich, mir meinen vollen Preis zu zahlen.«
»Er gibt klein bei!« flüsterte Leete aufgeregt. »Er wird also zahlen …«
Hermann Zeberlieff brach in lautes Lachen aus.
»Klein beigeben, Sie Narr! Glauben Sie mir, Sie alle müssen seine Großmut bezahlen, Sie alle müssen zu dem Aufgeld, das er Modelson gibt, beisteuern. Begreifen Sie denn nicht? Stellen Sie sich doch mal vor, der alte Modelson hätte seinen Konkurs erklärt - alle Welt hätte doch geschrien: ›Eine altangesehene Firma durch unfaire Konkurrenz ruiniert; ein rührender alter Herr in weißem Haar und weißem Bart nach einem Leben in ehrlicher Arbeit in das Arbeitshaus getrieben!‹ Das hätte ihn doch unpopulär gemacht, hätte den Strom der öffentlichen Meinung gegen ihn gelenkt und möglicherweise alle seine Pläne über den Haufen geworfen. Sie kennen King Kerry nicht!«
»Ich gehe jedenfalls morgen mit meiner alten Forderung zu ihm«, sagte Leete dickköpfig.
»Was wollte er Ihnen neulich geben?« fragte Zeberlieff.
»Dreiviertel Millionen.«
Zeberlieff nickte. »Er wird Ihnen jetzt genau hunderttausend Pfund weniger bieten.«
Er konnte sich wohl rühmen, King Kerry zu kennen, denn als Leete am anderen Morgen äußerst zuversichtlich sich mit dem Ellenbogen einen Weg durch die gaffende Menge bahnte und zu King Kerry kam, war das Angebot, das »der König« ihm machte, genau so hoch, wie Hermann es prophezeit hatte.
Und Leete war nicht der einzige, der die Freigebigkeit Kerrys falsch verstand; er war auch nicht der einzige, der eine schmerzliche Enttäuschung erleben sollte.
Kapitel 23
Else Marion war fleißig und glücklich. Das Grün auf der Karte nahm zu. Sie nannte es »die Zeichen der Eroberung« und war stolz auf ihre Ausdehnung. Dann kam der Tag, an dem die Zeitungen voll waren von dem Riesengeschäft, das Kerry abgeschlossen hatte - dem Kauf des ungeheuren Immobilienbesitzes Lord George Fallingtons. Lord Fallington war ein Millionär-Peer, der ein gewaltiges Einkommen aus Bodenrenten mitten im Herzen von London-West hatte.
Vielleicht hatte ihn die Furcht vor neuen gesetzlichen Strafmaßnahmen gegen Grundbesitzer zu diesem Verkauf gedrängt; und die Furcht war sicherlich auch nicht ganz unbegründet. Denn die damalige Regierung der bekannten Koalition Jagger-Shubert mit ihren ungeheuren demokratischen Plänen, für deren Ausführung die Mittel aus dem Einkommen bereitgestellt werden sollten, und ihren außerordentlich hohen Anforderungen für die Marine - eine seltene Kombination für eine Regierung -, machte einen Überschlag und hatte dabei habgierige Augen auf den Grundbesitz geworfen.
Mochte nun die Ursache sein, was sie wollte - Lord Fallington verkaufte; und als nach diesem Ereignis auch Bilbury an den Trust fiel, war die Schlacht halb gewonnen.
Eines Tages kam King Kerry in großer Eile ins Büro. Sein Gesicht hatte einen Ausdruck, wie Else ihn noch nie gesehen hatte. Kerry schloß die Tür hinter sich, ging, ohne ein Wort zu sagen, durch das Zimmer, zur Stahltür, die in den vorderen Raum führte, und dann in das Spiegelzimmer, in dem der große Safe stand.
Sie sah erstaunt auf, als die Tür hinter ihm zuschlug. Ein einzigesmal seit sie die Stellung bei ihm angetreten hatte, war er durch jene Tür gegangen, und sie hatte ihn begleitet. Auf seinen Wunsch hatte sie mit dem Rücken zum Safe gestanden, während er das Kombinationsschloß öffnete.
Nach zehn Minuten kam er mit einem kleinen Umschlag in der Hand zurück. Er stellte sich in die Mitte des Zimmers, entzündete ein Streichholz und hielt es an die eine Ecke des Umschlags. Die Asche fiel auf den Linoleumteppich, und er zertrat sie mit dem Fuß zu Pulver. Als er damit fertig war, stieß er einen Seufzer der Erleichterung aus und lächelte über das offenkundige Interesse seiner Sekretärin.
»So gehen alle Verräter zugrunde!«
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