0040 - Die Ameisen greifen an
Täuschung sein. Roger wußte mit der Zeichnung nichts anzufangen, er beschloß aber, Santini danach zu fragen. Doch zuvor stellte der die Fragen.
»Weshalb bist du gekommen, Junge?«
»Ich wollte mit dir reden.«
Santini ging einen Schritt zur Seite. »Ich rede nur, wenn ich es auch will. Das solltest du doch eigentlich wissen. Früher, da hat niemand mit mir gesprochen, und jetzt will ich nicht.«
Roger hob die Hände. »Nun sei doch nicht so nachtragend.«
»Bin ich aber. Du kennst meine Geschichte.«
»Ja. Ich weiß, daß man dir übel mitgespielt hat. Aber mußt du dich deshalb auf diese Weise rächen?«
»Wieso rächen?«
Roger Calf ging jetzt aufs Ganze. »Hast du diese Riesenameisen in die Welt geholt?«
Schweigen.
Nur im Ofen knisterte das Holz, und der Wind säuselte im Kamin.
Roger hakte nach. »Warum antwortest du nicht, Santini? Hat es dir die Sprache verschlagen, daß ich davon weiß?«
Der Alte lachte hart. »Du nimmst also an, daß ich die Ameisen angelockt habe.«
»Ja.«
»Aber wie sollte ich das geschafft haben?«
»Durch Schwarze Magie.«
»Was ist das?«
»Hör auf zu lügen, ich weiß Bescheid. Du hast durch Schwarze Magie die Mächte der Hölle beschworen und damit ein bisher verschlossenes Dimensionstor aufgestoßen.«
»Ich bewundere dich und deine Ansichten«, erwiderte der alte Santini. »Woher kennst du die Fakten? Schwarze Magie, Dimensionstor, bisher hast du nie davon gesprochen?«
»Da wußte ich auch noch nichts von den Dingen. Inzwischen habe ich mich informiert, und es hat den ersten Toten gegeben. Mein Freund Peter Egli ist von den Riesenameisen umgebracht worden. Ein junges Mädchen konnte im letzten Augenblick gerettet werden. Ich weiß nicht, wie viele Ameisen noch herumlaufen, doch eins ist sicher: Du wirst sie wieder zurückschicken.«
»Ich habe noch keine Riesenameisen gesehen«, erklärte Santini.
»Das glaube ich dir nicht.«
Santini hob die Waffe etwas an. »Ich habe die stärkeren Argumente. Du mußt es mir abnehmen.«
»Warum hast du die magischen Zeichen auf den Boden gemalt?« forschte Roger Calf weiter.
»Weil ich ihn beschwören wollte.«
»Wen?«
»Einen Dämon. Er heißt Bael. Ist uralt und wird sogar schon in der Bibel erwähnt.«
Roger lief eine Gänsehaut über den Rücken, als er den Alten so reden hörte. Ihn schauderte. Zum erstenmal in seinem Leben war mit der Schwarzen Magie in Berührung gekommen. Und ihm wurde bewußt, daß dieser Santini ein Teufel in Menschengestalt war.
»Dann kannst du den Zauber nicht mehr rückgängig machen?« erkundigte sich Roger mit heiserer Stimme.
»Nein.«
»Aber hast du das gewollt? Geht deine Rachsucht wirklich so weit, daß du unschuldige Menschen in einen teuflischen Strudel mit hineinreißt?«
»Haben die Menschen denn an mich gedacht?« schrie Santini. »Haben sie mich nicht mit Schimpf und Schande aus dem Ort gejagt? Niemand wollte etwas mit mir zu tun haben. Sie hielten mich alle für wahnsinnig. Wenn ich kam, holten sie ihre Kinder in die Häuser. Sie zeigten mit Fingern auf mich und bespuckten mich. Nein, was jetzt geschieht, haben sich die Leute selbst zuzuschreiben.«
Roger Calf schluckte. »Überlege es dir!« sagte er mit beschwörender Stimme. »Noch kannst du…«
»Gar nichts kann ich. Die Ameisen sind da. Meine Beschwörung ist mißlungen. Ich habe etwas falsch gemacht, das ist die Wahrheit. Ich wollte einen Dämon beschwören, und habe es nicht geschafft. Die Ameisen sind das Ergebnis.«
»Lieber Himmel«, flüsterte Roger, »dann…«
Der Alte ließ Calf gar nicht ausreden. »Aber jetzt bin ich froh, daß es so gekommen ist. Die Ameisen sollen sich auf die Heuchler stürzen. Ich gönne diesen Menschen den Tod. Aber wie bist du auf mich gekommen?«
»Durch Überlegung.«
Santini schüttelte den Kopf. »Das kannst du mir nicht weismachen, junger Freund. Hat dir jemand geholfen?«
»Nein«, log Roger Calf.
»Willst du sterben?« hechelte Santini und drehte seine Waffe in der Hand.
»Einige Leute wissen, daß ich zu dir unterwegs bin«, warf Roger ein.
Santini schüttelte den Kopf. »Spuren wird es nicht geben. Deine Leiche verscharre ich irgendwo. Ich kenne mich hier aus, Roger Calf. Du hast einen Fehler gemacht. Du hättest fliehen sollen, anstatt zu mir zu kommen. Jetzt ist es zu spät.«
Rogers Mund wurde trocken. In den Worten des Alten schwang die finstere Entschlossenheit mit. Er würde seinen Vorsatz wahr machen, daran gab es nichts zu rütteln.
Die Mündung
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