0040 - Die Ameisen greifen an
hinein, wirbelte die Schleier durcheinander. Immer wieder rief er den Dämon an. Seine Stimme steigerte sich, sie wurde schrill und überschlug sich. Schweiß drang dem Mann aus allen Poren, bedeckte sein hageres Gesicht mit einer glänzenden Schicht. Jetzt wiegte er den Oberkörper. Langsam. Einmal nach links, dann wieder nach rechts. Nie unterbrach er seine Beschwörung, der Dämon sollte erscheinen.
Da geschah es. Ein eiskalter Hauch wehte durch den Raum, streifte den vor dem Fünfeck knienden Beschwörer und drang in das Pentagramm ein. Der Hauch wirbelte den roten Nebel durcheinander, verformte ihn zu grotesk tanzenden Figuren.
Eine tiefe Stimme ertönte.
»Warum rufst du mich, Elender?«
Der Mann erschrak. Die Stimme schien von weit her zu kommen, aus der Unendlichkeit der Dimensionen. Und doch war sie laut und fest, so daß jedes Wort verstanden wurde.
»Bael?«
Mit banger Stimme rief der Mann den Namen. Er bekam keine Antwort mehr. Nur die roten Nebelfetzen fegten weiterhin innerhalb des Pentagramms hin und her.
Noch einmal rief der Mann.
Wieder blieb die Antwort aus. Doch Sekunden später klang noch einmal die Stimme des Dämons auf.
»Du Narr hast alles verkehrt gemacht. Du hast durch deine Beschwörung ein Tor geöffnet, das bisher verschlossen war. Du bist ein Anfänger. Doch die Folgen mußt du tragen. Du und die anderen. Über euch wird das Grauen kommen…«
Die Stimme hallte noch nach. Besonders die letzten Worte schwangen als schaurige Echos durch die einsame Hütte.
Die Kerzen verlöschten, der Nebel verschwand. Es wurde finster.
Ächzend stand der Mann auf. Mit müden Schritten schlurfte er zu einem Regal. Er wußte, daß er es nicht geschafft hatte. Etwas hatte gefehlt, um die Beschwörung exakt auszuführen.
Aber was?
Auf dem Regal stand eine batteriebetriebene Laterne. Der Mann knipste sie an. Der milchige Schein leuchtete die Hütte kaum aus, so schwach war er.
Der Mann schaute sich um. Nichts hatte sich verändert. Es stand noch alles wie zuvor.
Weshalb hatte der unsichtbare Dämon ihn verhöhnt? Angeblich sollte er etwas falsch gemacht haben. Wahrscheinlich hatte sich der Dämon geirrt.
Das war nicht der Fall. Bael irrte nie. Der Mann, der ihn beschwören wollte, hatte durch seinen Fehler in der Tat das Grauen auf die Erde geholt. Ein Dimensionstor war aufgestoßen worden, durch das die schlimmsten Monster aus dem Reich der Finsternis auf die Welt gelangen konnten.
Es waren die Riesenameisen!
***
Mit einem eleganten Hüftschwung zog Peter Egli die Skier herum und kam inmitten einer aufstiebenden Schneewolke zum Stehen.
Er lehnte die Stöcke gegen die Hüttenwand und klappte die Kappe seiner Fellmütze hoch.
Der Blick über die Bergwelt war einmalig.
Peter Egli genoß das Panorama, obwohl er es schon von Jugend auf kannte. Denn er war hier geboren. Er war ein Kind des Berner Oberlandes.
Vor ihm präsentierte sich die Jungfrauenregion mit all ihrer strahlenden Gletscherpracht. Es war bitterkalt geworden. Peter Egli schaute hinauf zu den Gipfeln von Eiger, Mönch und Jungfrau und sah die Sonne soeben noch hinter den beiden ersten Bergen verschwinden. Ihr letztes Licht ließ die Firne und Eismassen rötlichblau aufleuchten. Ein Abschiednehmen für einen Tag, sogar für ein Jahr.
Denn man schrieb den 31. Dezember.
Silvester!
Jahreswechsel in den Bergen. Ein Höhepunkt. Unten im Tal lag Grindelwald, das Kleinod des Berner Oberlandes. Sämtliche Hotels waren ausgebucht. Entlang der Hauptstraße und auch ringsum an den Hängen gab es in keinem Hotel mehr ein freies Bett.
Peter Egli selbst wohnte zwischen Grindelwald und Lauterbrunnen. Seine Eltern bewirtschafteten dort eine kleine Pension, in die nur Stammgäste kamen. Peter gehörte zur Bergwacht. Er lebte oft tagelang allein in der Berghütte. Sie lag auf zweitausendfünfhundert Meter Höhe, war mit einer Funkanlage und mit einem Telefon ausgestattet. Schon oft hatten hier Bergsteiger vor einem plötzlich hereinbrechenden Wetterumschwung Schutz gefunden. Auch Touristen, die sich unerfahren und leichtsinnig auf eine Bergwanderung begeben hatten, fanden auf der Egli-Hütte Schutz.
Es war in den letzten Tagen viel Schnee gefallen. Die Kältewelle kam aus dem Norden und hatte die Alpen bis hin nach Italien überrollt. An diesem Nachmittag zeigte das Außenthermometer an der Hüttenwand schon minus 22 Grad.
Peter Egli stieg aus den Skibindungen und schob den Riegel der Hüttentür zurück.
Eine angenehme Wärme schlug ihm
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