0041 - Die Treppe ins Nichts
nichts mehr daran zu ändern. Zamorra konzentrierte sich nur auf sein nächstes Vorhaben.
Er wog den Schädel in der Hand. Seine Finger fuhren in die Augenhöhlen, wie in die Löcher einer Bowlingkugel. Er holte aus, setzte den Schädel weich auf und ließ ihn rollen. Scheppernd holperte der Knochen in die Dunkelheit hinein. Schon kurz darauf gab es ein trockenes Bersten, als würde man Eichenspäne brechen.
Zamorra hatte genau gehorcht. Der Schädel musste etwa in zwanzig Schritt Entfernung zerplatzt sein. Er wusste jetzt, wie weit das Gewölbe sich in diese Richtung ausdehnte.
Nun machte er auf den Fersen kehrt und drehte sich um einhundertachtzig Grad. Jetzt ließ er das nutzlos gewordene elektronische Feuerzeug über den Boden der Halle schlittern.
Kein Zeichen davon, dass das Gewölbe dort irgendwo zu Ende gewesen wäre. Das Feuerzeug blieb liegen, ohne auf Widerstand gestoßen zu sein.
Doch auch dieses neue Wissen brachte ihn nicht wesentlich weiter.
Immerhin hatte er erkannt, dass es wenig Zweck hatte, in der Dunkelheit umherzuirren. Vermutlich befand er sich in einem ganzen Höhlenlabyrinth. In den Kellergewölben der ehemaligen weißen Burg des Henkers von Saratoga.
Er brauchte Licht. Unbedingt. Sonst kam er hier nicht weiter.
Automatisch klopfte er seine Taschen ab. Er konnte sich nicht erinnern, Streichhölzer eingesteckt zu haben. Immer wieder gruben seine Finger in die Taschen hinein. Sie stießen auf lauter Dinge, die jetzt vollkommen nutzlos waren: Autoschlüssel, Brieftasche, Kamm, Nagelzwicker und zwei Taschentücher. Erst in der letzten Tasche fand er das, was er suchte.
Tatsächlich, er hatte doch ein Heftchen Streichhölzer dabei. Er musste es letzte Nacht in Gedanken eingeschoben haben, als er mit Rigo Velasques an der Bar saß. Er hatte damit herumgespielt, während sie ihre Drinks zu sich nahmen. Beim Umräumen von einem Sakko ins andere musste er auch das Päckchen mit eingeschoben haben.
Es waren Werbestreichhölzer vom Hotel Esplanada. Zitternd riss er das erste Hölzchen ab. Wenigstens das funktionierte. Er hielt es mit dem Kopf nach oben, um es möglichst lange am Brennen zu halten.
Aber es war nichts zu sehen, außer der kleine Lichtkreis in dem er stand. Und das Skelett natürlich, das zusammengebrochen war. Die Knochen lagen in einem wirren Haufen übereinander.
Eine Sekunde lang dachte Zamorra daran, dass es Piere Laguères Skelett sein konnte. Aber das war unmöglich. Die Knochen waren zu alt. Zwar stammten sie von einem Mann, wie Zamorra am Becken erkannte, doch es waren nicht die Überreste des Bäckers aus dem Loiretal. Piere Laguère war außerdem größer gewesen.
Seltsam, aber auf Professor Zamorra übte diese Tatsache eine gewisse beruhigende Wirkung aus, auch wenn seine derzeitige Situation keinerlei Anlass dazu bot, beruhigt zu sein. Ganz im Gegenteil.
Dunkle Mächte hatten ihn aus der Welt des Lichts entführt.
Doch er war hereingekommen. Also musste es auch wieder einen Weg hinaus geben. Das dachte Zamorra.
Das Streichholz war heruntergebrannt. Er schleuderte es von sich.
Er hatte es zu lange gehalten.
Sofort zündete er das nächste an.
Endlich! Er sah die unteren Stufen der Treppe wieder, die er heruntergekommen war. Sie mussten auch zurück in die Freiheit führen.
Die erste Stufe war noch fest unter seinem Tritt. Doch schon bei der zweiten hatte er das Gefühl, sie würde unter ihm nachgeben.
Unwillkürlich fiel Zamorra der Vergleich mit einem Teppich ein. Bei der dritten Stufe verstärkte sich dieser Eindruck noch und bei der vierten hatte er das Gefühl, auf Schaumgummi zu stehen.
Die Treppe wankte unter ihm. Sein nächster Schritt war ein Schritt ins Leere. Die Treppe hatte einfach aufgehört.
Zamorra stürzte schwer, und die Flamme des Streichholzes verlöschte dabei. Er saß auf dem kalten Pflaster und fühlte sich elend wie selten zuvor.
Er bemühte sich erst gar nicht, das Phänomen, auf das er gestoßen war, erklären zu wollen. Er akzeptierte es als Tatsache, dass die Treppe im Nichts verschwand. Er musste sie akzeptieren, um nicht verrückt zu werden.
Ein neues Streichholz.
Zamorra ging in die Richtung, in der er den Schädel geschleudert hatte. Er fand ihn auch. Er lag aus den Fugen geraten an einer Wand. Der Unterkiefer war aus dem Jochbein geschnappt. Der Schädel sah aus, als würde er ihn hämisch angrinsen.
Die Wand dahinter war fugenlos und hoch. Nach oben zeichnete sich kein Ende ab. Der Schein der Flamme drang nicht weit
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