0041 - Die Treppe ins Nichts
wurde die Folter mehrmals mit Weihwasser besprengt. Zahllos waren die entsetzlichen Mittel, welche folgten, das Opfer zermürbt zur Strecke zu bringen.
Von Zeit zu Zeit fragte man den Gemarterten wieder, ob er endlich bekennen wolle. Die meisten Ketzer gestanden nun, übermannt von unsäglichen Schmerzen, alle beliebigen Auskünfte, welche die Inquisitoren zu hören begehrten.
Zamorra kannte dieses dunkle Kapitel der Kirchengeschichte ganz genau.
Deshalb verbannte er auch die Geschichte von Donna Isabell Conchita di Minestrale nicht vollkommen in den Bereich der Legende.
Gräueltaten dieser Art waren begangen worden.
Fand die Verbrennung einer Hexe statt, wurde sie in der Regel auf Sonn- und Festtage gelegt, um möglichst viele Zuschauer heranziehen zu können. Besondere Reiter luden in umliegenden Gebieten zu dem Schauspiel ein. Für Fenster mit Sicht auf den Scheiterhaufen wurden hohe Preise gezahlt.
Und jetzt schritt Professor Zamorra in ein Verlies hinab, in dem früher den Hexen und Ketzern die Geständnisse abgerungen wurden. Diese Wände mussten unsagbar viel Leid gesehen haben.
Zamorra erreichte den Boden der Kammer.
Am Treppenende steckte eine weitere Fackel. Professor Zamorra entzündete sie. Er entdeckte noch eine zweite und dritte Fackel. Es war jetzt nahezu taghell geworden.
Erschüttert stand Zamorra vor dem Bild, das sich ihm bot.
Hier waren grausame Folterknechte am Werk gewesen. Zamorra entdeckte Piere Laguère und die beiden Töchter. Sie waren – wie viele fremde Menschen auch – auf Folterinstrumente gespannt oder daran gefesselt. Aber sie konnten nicht tot sein. Das war unmöglich.
Keiner der Körper zeigte Spuren einer Zersetzung.
Piere Laguère und seine Töchter waren seit vierzehn Tagen vermisst. Die anderen vielleicht seit Jahren. Und nirgends Zeichen der Verwesung. Alle diese Körper sahen aus wie Wachsfiguren. Wie Wachsfiguren in einem makabren Kabinett. In einem Kabinett… des Grauens…
Professor Zamorra war fassungslos. Sein Herz schlug wie rasend.
Er fühlte den Puls noch am Hals und in den Schläfen pochen. Zu ungeheuerlich war das, was sein Verstand hier verkraften musste.
Insgesamt zählte er achtzehn Personen. Von fünfzehn Vermissten hatte die Polizei von Ainsa gesprochen. Dem Henker mussten jedoch noch mehr Opfer in sein Netz geraten sein.
Zamorra stand neben dem wächsernbleichen Körper des Mädchens Nana. Wie sollte er sie von den eisernen Fesseln befreien? Unschlüssig stand er davor. Und er musste etwas tun, sonst hielt er diesen Anblick nicht aus. Er hatte Bilder von Massengräbern gesehen, und an diese Bilder fühlte er sich in diesem Augenblick erinnert.
Zamorra wollte sich soeben bücken, um die Gewichte von den Beinen abzustreifen. Er stockte mitten in dieser Bewegung. Etwas zwang ihn, in das Gesicht des Mädchens Nana zu schauen.
Sekunden verrannen.
Flatterten nicht die Augenlider des Mädchens?
Doch! Die langen Wimpern hoben sich über die Wölbung der Augäpfel. Starr und tot war der Blick, und er war genau auf Zamorra gerichtet. Die vollen weißen Lippen vibrierten, zogen sich zurück und gaben zwei Reihen blendend weißer Zähne frei. Der Kiefer klappte.
Der Körper sagte etwas. Doch das war nicht die Stimme eines Mädchens.
Zamorra kannte diese Stimme nur zu gut. Der Einarmige sprach aus ihrem Mund. Und das, was er sagte, hallte im Gewölbe schauerlich wider.
»Willkommen, Professor Zamorra…«
Zamorra sagte nichts. Er hätte nichts sagen können. Seine Kehle war ihm vom Grauen verschnürt.
»Nun, Professor? Wollten Sie nicht hinter das Geheimnis der wei- ßen Burg kommen? Ein wenig davon kennen Sie jetzt. Aber das wird Ihnen nichts mehr nützen.«
»Vincente…«
Wieder dieses irre Gelächter, das durch Mark und Bein ging, und das geeignet war, das Blut in den Adern gefrieren zu lassen.
Das Spukhafte daran war, dass das Gesicht Nanas dabei ohne Regung blieb, während diese fürchterlichen Worte aus ihrem Mund kamen.
»Professor«, sagten diese Lippen. »Einige meiner schönen Instrumente sind noch frei. Sowohl für Sie, als auch für Ihre reizende Sekretärin findet sich noch ein Platz.«
Zamorra wollte aufschreien, er wollte brüllen, doch kein Laut kam über seine Lippen. Er war unfähig, auch nur ein Wort zu sprechen.
Da fühlte er unsichtbare, schleimige Fäuste nach seinen Gliedmaßen greifen. Er wollte sich wehren, doch die Kraft war stärker als er.
Er musste zusehen, wie er auf ein Brett zuschwebte und darauf gelegt
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