0041 - Die Treppe ins Nichts
Der Platz ist verflucht.«
Nicole starrte den jungen Hotelier an. »Langsam frage ich mich«, sagte sie, »ob ich hier in den Pyrenäen des zwanzigsten Jahrhunderts oder des Mittelalters bin.«
Velasques verzog sein Gesicht zu einem missglückten Grinsen.
»Das habe ich mich auch schon manchmal gefragt, aber es ist nicht gut, darüber zu sprechen.«
»Wovon habt ihr eigentlich alle Angst hier? Können Sie sich nicht deutlicher ausdrücken?«
»Egal ob wir Angst haben oder nicht. Grund dazu hätten wir genug. Was wollte Ihr Professor an diesem Platz?«
»Er stellt Forschungen an. Er ist Parapsychologe.«
»Para… was?«
»Ein Grenzwissenschaftler. Er gibt sich mit okkulten Dingen ab.«
»Dann hat er das jetzt die längste Zeit getan«, meinte Rigo Velasques lakonisch. »Fahren Sie zurück und suchen Sie sich einen neuen Job. Ihr Aufenthalt hier und der Ihres Chefs geht auf meine Rechnung.« Velasques wollte sich abwenden. Seine Schultern waren nach vorne, das Kinn auf die Brust gefallen. Er machte einen niedergeschlagenen Eindruck.
Nicole setzte mit einem Scherensprung über das Netz. »Halt«, sagte sie. »Sie können mir nicht erst Sorgen machen und mich dann stehen lassen. Jetzt bin ich neugierig geworden. Jetzt möchte ich die ganze Wahrheit erfahren.«
»Nicht von mir«, wehrte Rigo Velasques ab. Vom spanischen Stolz war nicht eine Spur zurückgeblieben. Rigo Velasques hatte nur mehr Angst. Eine ganz gemeine kreatürliche Angst.
»Aber natürlich werden Sie mir etwas sagen«, erwiderte Nicole resolut und packte den Mann an den Schultern. Auch ihr Gesicht war jetzt gerötet, doch nicht von der Hitze des Spiels. Nicole war wütend. »So einfach kommen Sie mir nicht davon. Sie werden mich jetzt zu dieser Stelle hinauffahren.«
Velasques stand, als wäre er gegen eine unsichtbare Mauer gerannt. Langsam, wie in Zeitlupe, wandte er sich Zamorras Sekretärin zu. »Nein«, flüsterte er. »Alles, nur das nicht.«
»Aber ich verlange Hilfe von Ihnen. Sind Sie ein Mann oder sind Sie keiner?« Mit blitzenden Augen musterte sie den schwarz gelockten Mann. Hatte sie ihn endlich am Nerv getroffen?
»Ich würde Ihnen lieber meinen Anteil am Hotel geben«, sagte er betroffen. »Das können Sie nicht von mir verlangen.«
»Mon Dieu«, rief Nicole aus. »Es muss alles falsch gewesen sein, was ich je über dieses Land und seine Bewohner gehört habe. Wo ist nur der sprichwörtliche Mut dieses Volkes geblieben? Wie kommt es, dass ein Mann dieses Landes einem Mädchen seine Hilfe versagt?«
Nicole Duval überspielte die Tatsache, dass Velasques’ Worte sie schwer getroffen hatten.
Auch sie fühlte inzwischen die Angst in sich. Eine jämmerliche Angst. Doch deshalb gab sie noch nicht auf. Vielleicht hätte sie aufgegeben, wenn sie die wirkliche Geschichte des Henkers von Saratoga gekannt hätte. Vielleicht hätte sie dann das Grauen verstanden, das Rigo Velasques jetzt schüttelte.
Sie hatte an seine Männlichkeit appelliert. Hatte es auch etwas genützt?
»Ich lasse mein Volk nicht beschimpfen«, murmelte Rigo Velasques. »Kommen Sie, wir fahren, und wenn es das Idiotischste ist, was wir tun können.«
Bei Nicole stellte sich kein Gefühl des Triumphes ein, obwohl sie es nach dieser positiven Nachricht erwartet hatte.
Jetzt hat er mich angesteckt, sagte sie sich. Doch die Schritte, mit denen sie sich auf das Tor im Gitter zu bewegte, das die Tennisplätze von der übrigen Hotelanlage trennte, waren noch fest.
Rigo Velasques dagegen ging schleppend wie ein zum Tode Verurteilter, der seinen letzten Gang zum Schafott antritt.
»Warten Sie«, sagte Nicole, auf der Terrasse angelangt. »Ich ziehe mich nur schnell um.«
»Nun lassen Sie das«, antwortete Velasques beinahe bissig. »Mir zumindest ist es egal, was ich anhabe, wenn die Reise in die Hölle geht.«
»Dann eben nicht«, meinte Nicole und steuerte hinter dem Hotelier die Großgarage an.
Er fuhr einen Alfa Romeo. Das neueste Modell, knallrot und mit offenem Verdeck. Der Schlüssel steckte im Zündschloss.
Nicole nahm neben ihm Platz. »Sie wissen, wo der Platz ist?«, fragte sie.
»Jeder hier weiß das«, rief Velasques in das Röhren des Motors.
»Aber keiner hier wäre so dumm, freiwillig dorthin zu fahren.«
»Vielleicht begegnen wir dem Professor unterwegs«, meinte Nicole, »und wir haben uns die ganzen Sorgen umsonst gemacht.«
Velasques bedachte sie mit einem traurigen Blick voller Mitleid.
Nicole kam es vor, als hätte er dumme Gans
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