0041 - Die Treppe ins Nichts
seltsam – diese Hände des Mädchens. Diese eiskalten Hände.
Sie lösten sich nicht von ihren Schultern. Velasques fühlte sich daran wie aufgehängt. Fiel er plötzlich langsamer, oder war auch das nur eine Täuschung?
Es konnte nur Täuschung sein!
War er schon tot?
War das der Tod, wenn man mit einem Male das Gefühl hat, in einem Berg von Watte zu versinken? Aber warum war diese Watte grün?
Eine Fülle von Eindrücken prasselte gleichzeitig auf Rigo Velasques ein. Zu schnell, als dass er sie einzeln hätte registrieren können.
Genauso erging es Nicole Duval. Mit eiskalten Händen an den Schultern, die mit ihren Körpern verwachsen zu sein schienen, sanken sie tiefer. Das Grün wich einem dunklen Türkis, wurde von einem stählernen Violett verdrängt, das rasch der Schwärze Platz machte. Sie sanken durch schwarze Watte, sanken in einen bodenlosen Abgrund, in unendliche Leere.
Rote Schleier wallten aus dem Schwarz vor ihren Augen, alle Sterne des Universums umwirbelten sie in einem immer wilder werdenden Kreis, bis auch dieses letzte Licht von der gähnenden Dunkelheit zerrissen wurde. Der Sternennebel löste sich auf, zerflatterte.
Zurück blieb das Gefühl von Leere, das Gefühl, in einem Vakuum zu schweben.
Dann löste sich auch der Druck von ihren Schultern. Allmählich nur. Die rasende Fahrt war zu Ende. An welchem Ende?
Nicole schlug die Augen auf.
Körper leuchteten fahl aus der Dunkelheit. Weiße, nackte Körper.
Nicole wollte ihren Kopf bewegen, um sich zurechtzufinden. Es ging nicht. Ihr Hals war starr geworden. Auch die Beine ließen sich nicht anheben. Sie waren schwer wie Blei. Nur ihre Augen sahen, ohne dass die Pupillen zucken konnten. Ihr Blick war auf einen einzigen Winkel fixiert, auf jenen Winkel, den die Haltung ihres Kopfes ihr gebot.
Und sie sah Nana in der zwielichtigen Düsternis. Wie tot hing sie in den Ketten.
Mit einem Male erkannte Nicole, dass sie auf dieselbe Weise gekettet war, obwohl sie es nicht sehen konnte. Sie wusste es einfach.
Auch Rigo Velasques konnte sie undeutlich erkennen. Ihm ging es auch nicht besser. Doch in dem Gesichtsausdruck des jungen Hoteliers lag kein Schmerz. So wenig wie in dem der anderen Gepeinigten, die sie umgaben. Hier in der Folterkammer des Henkers von Saratoga.
An der einen Wand brannte noch fahl eine Fackel. Nicht mehr lange, und das flackernde Licht würde verlöschen. Es lag jetzt schon in den letzten Zügen. Blaue Flämmchen zuckten ersterbend.
Und dann würde nur mehr Dunkelheit um sie sein und die Angst, die zu ihrer Gefolgschaft gehörte.
Nicole und Velasques würden alleine sein inmitten dieser zu Stein erstarrten Körper, und ihre Einsamkeit würde grenzenlos sein.
Professor Zamorras Sekretärin hing da, zur Bewegungslosigkeit verdammt. Sie lebte noch, doch war das leben?
Sie fühlte sich auf Eis gelegt, konserviert.
Konserviert, für ein Bacchanal der Hölle.
Die Gedanken, von denen sie plötzlich gepeinigt wurde, waren schlimmer, als alle diese fürchterlichen Marterwerkzeuge um sie herum.
***
Die Nacht kam überraschend schnell in dieses Hochtal im Herzen der Pyrenäen. Sie senkte sich wie eine riesige Glocke herab und hüllte alles ein mit ihrer Dunkelheit. Beinahe ohne Übergang tauchten die Sterne aus dem nachtschwarzen Blau des Himmels.
Zamorra war dankbar dafür. So konnte er es vermeiden, dass er sich in diesem Aufzug zeigen musste. Er war es nicht gewohnt, in Lumpen gekleidet zu gehen. Er würde jetzt zuerst duschen und sich dann umziehen. Morgen würde er eine ganze Kolonne von Bauarbeitern zusammentrommeln und den Grund unter dieser Burg zuoberst kehren lassen. Irgendwie musste es doch eine Möglichkeit geben, die zweifellos vorhandenen Gewölbe freizulegen, einen natürlichen Zugang zu diesen Grüften und Grotten zu schaffen. Wenn erst die Strahlen der Sonne hart in den aufgerissenen Berg leuchteten, würden auch die Schatten der Unterwelt weichen, die das Sonnenlicht nicht vertrugen.
Der Professor schlich sich über die Terrasse an. Sein Zimmer lag im ersten Stock und wies in den Park des Hotels. Ein kleiner Balkon stand ihm zur Verfügung. Mit einem Sprung und einem anschließenden Klimmzug musste es ihm möglich sein, den Balkon zu erreichen. Die Tür hatte er offen stehen lassen. Nur die hölzernen, grün gestrichenen Jalousien waren angelehnt. Sie würden kein unüberwindbares Hindernis bieten.
Zamorra achtete darauf, dass er nicht gesehen wurde. Zum Glück hielt sich zu dieser Zeit noch
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