0041 - Die Treppe ins Nichts
Zamorra fiel die Grabesstille auf, die hier herrschte. Kein Lufthauch, der die schwarz hängenden Äste der Sykomore bewegt hätte.
Zamorra wunderte sich nicht lange, warum auch die Fensterläden vor dem hellen Fenster geschlossen waren. Das war ungewöhnlich.
Der ganzen Anlage des Hauses nach mussten sich dort die Wirtschaftsräume befinden. Das Casa Pyrenäa war eine Frühstückspension. Für Gäste wurde nicht gekocht. Wahrscheinlich befand sich die Küche hinter dem Viereck, das hell gestreift ein Loch aus der fahlen Dunkelheit riss. Aber warum waren die Läden dann verschlossen?
Überall in Spanien öffnet man die Fenster nachts, wenn der Tag heiß war. Und der Tag war heiß gewesen.
Wie ein Dieb näherte sich Zamorra den hellen Streifen. Er drückte sich unten an der Wand entlang, um nicht in ihren Schein zu geraten. Es schepperte fürchterlich, als er dabei gegen einen leichten Blecheimer stieß.
Eine Schrecksekunde lang hielt Zamorra den Atem an. Doch dann machte er, dass er schleunigst davonkam. Er hatte Geräusche in der Küche gehört. Und gleich darauf die keifende Stimme der Frau, die ihm am Vortag geraten hatte, sich mit Vincente in Verbindung zu setzen. Zamorra hatte den Wortlaut noch in den Ohren: »Gehen Sie zu Vincente. Vielleicht sagt der ihnen was.«
Niemand sonst im Dorf hätte ihm diesen Rat gegeben. Außer…
Alle hätten auf seine Fragen hin nur den Kopf geschüttelt, und kein Ton wäre über ihre Lippen gedrungen. Diese Frau jedoch hatte ihn an den Einarmigen verwiesen. Keiner im Dorf hätte ihm Vincentes Namen genannt, es sei denn, er wusste mehr über den Einarmigen oder stand mit ihm in Verbindung…
Zamorra hätte sich ohrfeigen mögen, weil ihm das nicht sofort aufgefallen war.
Im Augenblick jedoch hatte er Sorgen ganz anderer Art.
»Ist da jemand?«, schrillte die Stimme der Alten, aber da hatte Zamorra sich schon zurückgezogen. Er lauerte neben dem Hinterausgang.
»Aber da muss doch ein Jemand sein.«
Ein mürrisches Gegrunze, dann schlurfende Schritte. Die Tür wurde geöffnet. Der Lichtfinger einer Taschenlampe fraß sich auf den Hof.
Er streifte auch den umgestürzten Eimer und glitt dann weiter zum beigen Seat. Knapp über dem Boden leuchteten zwei Augen unter dem Chassis des Wagens. Ein weit geöffneter, fauchender Rachen; vier blitzende Reißzähne darin.
Zamorra kannte diese Katze. Sie war eben größer als eine normale Hauskatze, und sie war genauso getigert, wie die in der Höhle.
»Verdammtes Mistvieh!«, keifte die Frau, und Zamorra fiel ein, dass er noch nicht einmal den Namen der Frau kannte. Sie machte Anstalten, wieder ins Haus zurückzugehen. Sie war zu Tode erschrocken, als sie plötzlich den eisernen Griff einer Faust um ihr Handgelenk spürte. Zamorra musste ihr die andere Hand um den Mund legen, damit sie nicht loskreischte wie eine Sirene. Die Frau biss ihn in den Finger.
Im gleichen Augenblick hetzte auch die Katze los. Mit riesigen Sprüngen kam sie über den Hof gesetzt und sprang noch im Laufen.
Plötzlich hing sie der Frau an der Brust. Zamorra sah noch, wie sich vier kleine, messerscharfe Dolche in ihre Schultern gruben. Er musste das Handgelenk der Frau loslassen. Doch zumindest war sie jetzt so geschockt, dass ihr die Schreie in der Kehle stecken blieben.
Zamorra packte das Tier am Fell hinter dem Kopf. Er hatte Mühe, es loszureißen. Erst als er die Kehle zudrückte, nahm dieses Biest die Zähne aus den Wunden. Zamorras Hände wurden zerkratzt. Er warf die Katze in hohem Bogen in den Hof, nahm die Frau wieder und drückte sie schnell zurück in den Flur. Mit dem Fuß stieß er die Tür ins Schloss. Draußen prallte der Körper der Katze gegen das Holz der Füllung. Ein wütendes, ohnmächtiges Fauchen. Dann nichts mehr.
Professor Zamorra hatte angenommen, dass die Frau jetzt wieder anfangen würde zu schreien. Ihr Atem ging immer noch pfeifend.
Doch die Angst vor dieser Katze schien größer zu sein, als der Schrecken, den Zamorra ihr eingejagt hatte. Als sie dann auch noch ein »Gracias« hauchte, verstand Zamorra überhaupt nichts mehr.
Er ließ es geschehen, dass die Frau sich von ihm löste und zurück in die erleuchtete Küche ging. Zamorra hatte richtig getippt. Sie befanden sich hier in den Wirtschaftsräumen der Pension. Sie unterschied sich in nichts von ähnlichen Küchen in ähnlichen Pensionen.
Zamorra war fast enttäuscht. Er hatte gehofft, auf eine Art Alchimistenküche zu treffen, oder auf sonst irgendetwas
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