0042 - Der Totenbeschwörer
Friedhofsbesuch zurück. Menschen, die sich auf einem Friedhof wohl fühlen, sind mir noch nicht begegnet. Außer den Toten natürlich.
Ich habe beruflich mit Totenackern und Friedhöfen oft genug zu tun, aber daran gewöhnt habe ich mich bis heute noch nicht. Das können Sie mir glauben.
Meinem Freund Bill Conolly geht es übrigens ebenso.
Zu dieser Beerdigung mußten wir. Es war ein dienstlicher Auftrag. Ein Kollege von mir war vor einer Woche gestorben. Auf eine grausame Art und Weise.
Er hatte im Londoner Hafen einige Dealer überwachen sollen. Er war entdeckt worden. Dann schlugen die Dealer zu und erschossen ihn.
Die Dealer waren gefaßt, doch der Kollege hinterließ eine Frau und zwei halbwüchsige Kinder.
Bill kannte Hank Thormer ebenfalls, und deshalb hatte er mich begleitet.
Hank Thormer wollte nicht in London beerdigt werden, sondern in seinem Heimatort Gatway.
Er war dort geboren und auch zur Schule gegangen, bevor er sich entschloß, in den Polizeidienst einzutreten.
Gatway liegt in Wales, diesem Land mit der bodenständigen Bevölkerung, den unaussprechlichen Namen und einer Vergangenheit, die weit bis in die Zeit der Kelten hineinreicht.
An diesem kalten Spätvormittag war Suko nicht dabei. Er kannte den Kollegen nicht. Außerdem hatte er in London zu tun.
Wie schon erwähnt, Bill Conolly begleitete mich.
Wir waren in den frühen Morgenstunden losgefahren, um pünktlich zu sein. Den Kranz hatte ich abgegeben.
In die Trauerhalle kamen wir nicht mehr hinein. Zu viele Menschen stauten sich dort.
Wir warteten draußen auf dem kiesbestreuten Vorplatz.
Über uns knarrte in regelmäßigen Abständen eine Wetterfahne. Erst hatte mich das Geräusch gestört, doch nun gewöhnte ich mich daran.
Langsam schritten Bill und ich auf und ab.
Wir rauchten und redeten über die letzten Fälle.
Vor allen Dingen die Vampirgeschichte hatte es Bill angetan. Damals waren Sheila, seine Frau, und Johnny, sein kleiner Sohn, von den Blutsaugern entführt worden.
Wir sprachen aber auch über unseren letzten Urlaub, der plötzlich gar keiner mehr war, da uns die Riesenameisen einen Strich durch die Rechnung machten.
»Hank Thormer war ein feiner Kerl«, sagte Bill und trat die Zigarettenkippe aus.
Ich blieb stehen. »Wem sagst du das?«
Bill schaute in die Luft. »Denkst du nicht auch manchmal daran, John?«
»Woran?«
»Daß es auch dich erwischen kann.«
»Oft genug, Bill. Vor allen Dingen, wenn ich einen Fall heil überstanden habe. Dann stellt sich automatisch die Frage, ob es vielleicht der letzte gewesen ist.«
»Ein mieses Gefühl ist das«, sagte Bill.
»Das kannst du wohl laut sagen. Aber es ist nun mal nicht zu ändern.«
Bill Conolly gab mir recht. »Aussteigen kannst du aus deinem Job nicht mehr, John!«
»Das will ich auch nicht«, erwiderte ich. »Außerdem lassen es meine Gegner nicht zu. Ich weiß zuviel von ihnen. Es ist nicht so, daß ich – wenn ich einmal die Altersgrenze erreicht habe – pensioniert werde, nein, ich kann nie Ruhe finden.«
»Aus dem Blickwinkel habe ich die Sachlage noch gar nicht betrachtet«, gab mein Freund zu.
»Das muß man aber.«
Wir schwiegen in den nächsten Minuten und beobachtete die Wolken, die der Wind über den grauen Himmel trieb. Es roch nach Schnee. Dieser Winter war verdammt lang und hart.
Die Trauerfeier hatte schon begonnen. Chiefinspektor Ransome, der unmittelbare Vorgesetzte des toten Polizisten, war als offizieller Begleiter nach Gatway gefahren. Außerdem noch einige Uniformierte, die als Sargträger fungierten.
Der Friedhof lag außerhalb des Ortes in einem malerischen Tal. Im Sommer war es hier bestimmt prächtig.
Im Westen begannen die Black Mountains, die Schwarzen Berge. Das Gestein war nicht etwa schwarz, sondern der Name des Gebirges stammte von den dunklen Wäldern her, die die Berghänge bedeckten.
Von Gatway kannten wir nur die Hauptstraße und eine alte Steinbrücke, die über einen halb zugefrorenen Bach führte. Auf den schmalen Straßen in der Umgebung lag eine zum Teil festgefahrene Schneedecke. Die Wagen brauchten Winterreifen.
Ich hatte auf meinen Bentley ebenfalls welche aufziehen lassen.
Außer uns hielten sich noch einige Menschen vor der Leichenhalle auf. Sie froren wie wir.
Bill meinte: »Hoffentlich schneit es nicht auf der Rückfahrt.«
Ich grinste. »Wenn Engel reisen…«
»Ja, das schon. Aber heute reist nur einer. Nämlich ich.«
»Hast du Sheila angerufen?« Ich wechselte das Thema.
Bill nickte.
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