0042 - Der Totenbeschwörer
»Ja, als du in der Trauerhalle warst und den Kranz abgegeben hast. Sie erwartet uns am Abend zurück.« Bill rümpfte die Nase und drückte seine Pelzmütze fester auf den Kopf. »Hast du einen neuen Fall am Hals?«
»Nein, aber Suko kümmert sich da um eine Sache.«
»Interessant?«
»Keine Ahnung.«
»Worum geht es denn?«
Ich wurde einer Antwort enthoben, denn die Tür der Leichenhalle wurde geöffnet. Die beiden Flügel schwangen herum, und im nächsten Moment erschienen die sechs Träger mit dem Sarg. Es gab hier keinen Wagen, der die Särge zu den Gräbern transportierte.
Mir lief eine Gänsehaut über den Rücken, und ich preßte die Lippen zusammen. Den Mann, der jetzt in dem Sarg lag, hatte ich gut gekannt. Hank Thormer war ein feiner Kerl gewesen. Er hatte immer von seinem geliebten Wales gesprochen, wohin er nach seiner Pensionierung zurückkehren wollte.
Jetzt war er zurückgekehrt, anders, als er es sich vorgestellt hatte.
Dem Sarg folgte der Priester mit zwei Meßdienern. Dahinter gingen die Witwe, eine tief verschleierte brünette Frau, und die beiden Kinder. Mrs. Thormer weinte. Sie hielt ihr Taschentuch gegen den Schleier in Höhe der Augen gepreßt.
Dann folgten die zahlreichen Trauergäste. Viele Menschen aus dem Ort, denn Thormer war in Gatway immer noch bekannt gewesen, obwohl er schon lange nicht mehr dort gewohnt hatte.
Gemächlich schritten wir auf die Menschenschlange zu und reihten uns ein.
Vor uns gingen zwei Frauen. Sie waren schon älter und trugen beide Blumen. Sie unterhielten sich in ihrem walisischen Dialekt.
»Ja, Jill ist verschwunden, so glaube mir doch, Amy.«
Die mit Amy Angeredete schüttelte den Kopf. »Ich kann das einfach nicht begreifen. Sie war doch sonst immer so auf Zack. Ein liebes Kind. Nicht so verdorben wie die anderen, hat sich nicht herumgetrieben und wollte auch nicht unbedingt in die Stadt.«
»Aber hast du denn nicht gesehen, wie sie in den letzten Wochen verfallen ist?«
Amy nickte. »Natürlich. Seit dem Tode ihres Großvaters.«
»Sie hat sehr an ihm gehangen.«
»Ich kann mich noch genau an seine Beerdigung erinnern«, flüsterte Amy eifrig. »Es war ein ergreifender Abschied.«
»Hör auf damit! Ich sehe den Alten jetzt noch vor mir. Augen und Mund offen – widerlich sah er aus. Und weißt du, was mir der Pfarrer erzählt hat?«
»Nein.«
»Sie haben ihn so begraben. Mit offenen Augen und offenem Mund. Die ließen sich einfach nicht schließen.«
Die Frauen verstummten und schritten schweigend weiter.
Unter unseren Füßen knirschte der Kies. Ich maß der Unterhaltung keine große Bedeutung bei. Dorfklatsch, mehr nicht.
Später jedoch sollte ich noch auf eine sehr unangenehme Art und Weise an den Dialog der beiden Frauen erinnert werden.
Ich ließ meine Blicke hin und wieder über das Gelände schweifen. Der Friedhof bestand aus einem alten und einem neuen Teil. Der alte Teil wirkte geheimnisvoll. Da standen die hohen Bäume mit ihren breiten Ästen und Zweigen, die sie wie Schutzschirme über die Grabreihen legten.
Der neue Teil jedoch wirkte supermodern – und kalt. Gräber lagen nebeneinander wie mit dem Lineal gezogen, die Wege waren mit Kies bestreut und die Seiten zu den Gräbern hin durch Steine abgegrenzt.
Es war ruhig in der Trauerschlange. Nur das Scharren der Füße bildete ein monotones Geräusch. Ein paar Krähen segelten von Baum zu Baum. Ich sah auch Spatzen, die sich um einen Brotkrumen stritten.
Wir bogen nach links in das Gräberfeld ab. Dort lag das Grab des verstorbenen Hank Thormer.
Die Schlange blieb stehen. Die ersten mußten die letzte Ruhestätte bereits erreicht haben. Sehen konnte ich es aber nicht, da mir durch zahlreiche Trauergäste die Sicht verdeckt war.
Die Teilnehmer der Beerdigung bildeten einen großen Halbkreis. Jetzt gelang es mir, einen Blick über die Köpfe der Leute zu werfen. Die Träger hatten den Sarg abgestellt. Geschickt zogen zwei Hilfskräfte Seile unter die Totenkiste.
Es war still geworden. Nur der Wind rüttelte an schwachen Ästen und fuhr durch die Büsche. Hin und wieder hörten wir das Schluchzen der Frauen. Die Männer bissen die Zähne zusammen. Vor allen Dingen die Polizisten.
Wir dachten wohl alle das gleiche in diesen Minuten. Daß irgendwann einmal auch wir an der Reihe wären. An uns konnten die Versicherungen kein Vermögen verdienen.
Chiefinspektor Ransome hielt die erste Trauerrede. Er sprach von dem Toten als Freund und pflichtbewußten Beamten, der sein
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