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0042 - Herr der wilden Wasser

0042 - Herr der wilden Wasser

Titel: 0042 - Herr der wilden Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Wiemer
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auf den Knien, presste die Fäuste vor den Mund, wie um einen stummen Schrei zu ersticken. Ihre Augen waren weit aufgerissen, der glosende Widerschein des Feuers spiegelte sich darin. Sie konnte nicht weinen. Lange verharrte sie so, sehr lange, und als sie endlich aufstand, hätte sie nicht zu sagen gewusst, ob eine Stunde oder eine Ewigkeit verstrichen war.
    Sie wusste auch nicht, warum sie durch die Finsternis der Höhle zurückging.
    Genauso gut hätten sie bleiben können – es gab keinen Ausweg, und sie suchte auch gar keinen. In ihr war alles erstarrt, wie tot. Eine blinde, ziellose Mechanik ließ sie einen Fuß vor den anderen setzen.
    Wie eine Marionette schritt sie durch die Dunkelheit, tastete sich an den unsichtbaren Felswänden entlang, und es drang gar nicht in ihr Bewusstsein, dass sie immer wieder stolperte, stürzte, sich die Haut an scharfkantigen Steinen zerriss.
    Irgendwann war da der seltsame, milchige Lichtschimmer.
    Nicole betrat die große Grotte, blieb reglos stehen.
    Sie wusste, dass sie den Ausgang nicht passieren konnte. Sie wollte ja auch gar nicht nach draußen. Sie wollte…
    Warten, dachte etwas in ihr. Warten auf die Entscheidung, warten auf irgendein Ereignis, das das Geheimnis entschleiern würde. Sie wollte wissen, warum Zamorra und Bill gestorben waren. Sie wollte der Bestie ins Gesicht sehen, deren böse Macht die Schuld daran trug. Und dann…
    Ihre Gedanken stockten.
    Sie starrte zu dem Ursprung des milchigen, geisterhaften Lichts hinüber. Zu den weißen Dämpfen, dem kochenden, brodelnden Wasser des Geysirs, der wider alle Naturgesetze nicht in sich zusammensank. Sie starrte dorthin – und ohne Erstaunen wurde sie gewahr, dass sich eine hohe, dunkle Gestalt aus dem siedenden Wasser schälte.
    Der Mann schien direkt aus dem Geysir hervorzutreten.
    Er war groß und hager. Ein wallender Mantel umgab seinen Körper, weiß fiel das Haar auf die Schultern und weiß war auch der lange Bart. Die Rechte hielt er auf einen dunklen Stab gestützt. Nicht einen Tropfen von Flüssigkeit gab es an seiner Gestalt, nicht eine Spur von der mörderischen, siedenden Hitze, und Nicole wusste, dass der Alte vom Meer vor ihr stand, ohne dass es ihr jemand hätte sagen müssen.
    Ihre Lippen bebten. »Mörder«, sagte sie tonlos. »Mörder…«
    Der Alte rührte sich nicht. Seine Augen waren fest und unverwandt auf Nicoles Gesicht gerichtet. Augen, die durchsichtig waren und glitzerten wie graues Glas – und deren starrer, zwingender Blick in den Geist seines Gegenübers eindrang wie eine Sonde.
    »Du bist mein«, sagte er mit weit hallender Stimme, aber ohne die Lippen zu bewegen. »Meine Sklavin bist du! Mir wirst du gehören, meine erste Priesterin auf dieser Erde sein. Viele habe ich getötet. Dich aber werde ich zurückschicken in diese Welt, damit du den Menschen von meiner Macht sprichst und von dem kommenden Untergang…«
    Nicole vermochte sich nicht zu rühren, stand wie unter einem Bann. Immer noch waren diese schrecklichen gläsernen Augen vor ihr. Sie spürte die Berührung des Stabes an der Stirn, eine leichte, kühle Berührung, und irgendetwas schien durch ihren Körper zu gehen wie ein Stromstoß.
    Die Welt versank.
    Die Erinnerung war ausgelöscht und mit ihr Trauer und Schmerz.
    Nicole sah das Gesicht des weißbärtigen Alten und wusste, dass sie seinen Befehlen folgen würde. Sie lächelte…
    ***
    Eine Sekunde ist die Zeit, die ein Tropfen braucht, um eine bestimmte Strecke zu fallen und zu zerplatzen.
    Eine Sekunde ist aber auch die Spanne eines Albtraums, der Gipfel der Glückseligkeit oder eine Ewigkeit in einer anderen Welt. Zeit ist nicht absolut, ist kein gleichmäßiger Strom, der das Leben treibt und trägt. Die Wissenschaft hat es erkannt, hat es in mathematischen Formeln ausgedrückt, bewiesen und gemessen. Und die Menschen wussten die Wahrheit schon immer in ihren Träumen…
    Zamorras Geist hatte eine lange Wanderung hinter sich, für die die Uhr an seinem Handgelenk nicht das Maß war.
    Zeit war verronnen. Endlose Zeit zwischen den Welten, Millionen von Jahren in Licht und Finsternis, ungeheure Räume in jener vierten Dimension, in die einzutreten den meisten Sterblichen verwehrt ist. Traumbilder erstanden und verwehten, erstanden von neuem und wurden zu Nichts. Und irgendwann, an einem winzigen Fixpunkt im geheimnisvollen Schwingen und Atmen ewigen Wandels, wurde Traum zu Wirklichkeit, hemmten steinerne Wände den schwebenden Geist, und Zamorras Bewusstsein schien

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