0049 - Der blaue Tod
Rasselnd fielen sie über ihn her.
Er ging in die Knie, schützte das Gesicht mit der einen Hand. Die andere schwang das Amulett wie eine Hiebwaffe hin und her. Knisternd wogte die Flut der Hölle und Verdammnis über ihn hinweg – und plötzlich, ohne erkennbaren Anlass, ließen sie von ihm ab. Ein blauer Schwall floss aus dem Schlafraum und ergoss sich auf den oberen Treppenabsatz. Die Gangster, die bereits unten angelangt waren, schrien wieder.
Zamorra wischte sich das Blut aus dem Gesicht. Etwas benommen lief er dem Spuk nach. Er konnte sehen, wie der Blaue Tod den beiden Gangstern nachflog. Sie jagten in die Wohnküche hinein, und Zamorra dachte voll Schrecken an Nicole Duval und George Griffin, die dort auf ihn warteten.
Er raste förmlich nach unten.
Die Bestien tanzten vor ihm her durch die Wohnküche. Nicole und Griffin war nirgends zu erblicken; auch von Paul Grivois fehlte plötzlich jede Spur. Henri Bienmât hingegen lief gebückt auf den Ausgang zu, eine ungeschlachte, stark mitgenommene Gestalt.
Zamorra trachtete danach, Jäger und Gejagten einzuholen. Aber der Blaue Tod trieb den Gangster vor ihm aus dem Hauptgebäude.
Die Strecke führte auf den dunklen Hof der Wasserburg hinaus.
Bienmât benutzte eine Steintreppe, kämpfte sich bis nach oben, legte auf einem der Wehrgänge eine kurze Pause ein. Die Fleischwunden schwächten ihn.
Die blau flimmernden Leiber holten ihn ein und umgaben ihn wie eine Haube. »Nein«, brüllte er. »Lasst mich in Ruhe. Haut ab, ihr verdammten Gespenster!«
Blitz und Donner erfolgten fast zur gleichen Zeit. Kaltes Licht zeichnete die Umrisse des verzweifelten Mannes nach. Irgendwo ertönte ein schwer einzuordnendes Geräusch. Zamorra drehte sich kurz um und begriff, was geschehen war. Die Stromanlage war ausgefallen. Die Festung lag im Finstern.
Matte Helligkeit verbreiteten nur noch die grässlichen Leiber. Sie geißelten den Gangster und stießen ihn auf die Zinnen der Außenmauer zu. Er vollführte träge, nutzlose Armbewegungen. Sein Widerstand wirkte schwach wie der eines Volltrunkenen.
Zamorra rannte gleichfalls die Steintreppe hinauf. Er hatte die letzten Stufen unter sich, als der Blaue Tod Bienmât einen furchtbaren Stoß versetzte. Blutüberströmt kippte er nach hinten. Fiel durch eine Schießscharte und entzog sich Professor Zamorras Blick. Nur noch sein lang gezogener, grauenvoller Todesschrei war zu vernehmen.
Er endete mit einem klatschenden Laut.
Zamorra blieb stehen.
Die Bestien des Blauen Todes hoben sich ein Stück in den Nachthimmel empor, beschrieben eine steile Kehrtwende und steuerten direkt auf ihn zu.
Zamorra riss das Amulett hoch. Er wollte die Beschwörungsformel ausrufen, als er schräg hinter sich eine Regung bemerkte. Aus den Augenwinkeln sah er, wie das reitende Gespenst aus einer Deckung hervorgeprescht kam. Ein schimmernder Pfeil raste auf den Blauen Tod zu.
Die Scheusale bremsten in der Luft ab und richteten sich auf. Sie versammelten sich zu einer breiten, abwehrenden Mauer gegen ihren einstigen Hüter.
***
Jean-Luc Mauvais stemmte sich gegen die schwere Steinplatte in der Gruft. Schweiß trat ihm auf die Stirn. Er wandte seine gesamte Kraft auf und schaffte es trotzdem nur, die Last ein winziges Stück fortzubewegen. Ein Spalt wurde frei. Mauvais erblickte zu seiner Überraschung das Strickende, das sie unter der Platte festgeklemmt hatten.
Er lachte auf.
Mit aller Macht zerrte er daran, und der Stein rutschte ein weiteres Stück von der Öffnung des Brunnenschachtes. Das Seil wurde ganz frei. Mauvais konnte es einholen.
Er arbeitete verbissen. Das Bündel mit den geraubten Juwelen tauchte auf, und irgendwie fühlte er sich wieder zuversichtlicher. Er befestigte es mit Hilfe des Strickes an seinem hüllenlosen Körper.
Dann hob er die Taschenlampe auf, die er aus der Küche mitgenommen hatte.
Er kehrte durch den Gang in den großen Raum zurück, der nach George Griffins Aussage zuvor überflutet gewesen war. Mit einem Mal bemerkte er, dass seine Fußsohlen keinen trockenen Boden mehr berührten. Flüssigkeit plätscherte. Er witterte den salzigen Geruch des Meeres. Ein feines Rauschen war da, die Lautstärke nahm zu.
Der schlanke Gangster hastete aus dem Raum. In dem nach oben führenden Gewölbegang war die Glühbirne erloschen. Nur der Lichtkegel der Taschenlampe tastete leicht vibrierend die Wände ab.
Mauvais sichtete eine Gestalt. Er kauerte sich in Deckung und zielte mit der Pistole.
Die Gestalt war klein
Weitere Kostenlose Bücher