005 - Die Melodie des Todes
saß er eine Stunde lang da und las eine amerikanische Zeitschrift. Um sechs Uhr fuhr ein Taxi in die Gasse und hielt vor der Haustür seiner Wohnung. Der Chauffeur, ein beleibter, bärtiger Mann, blickte ratlos auf und ab und suchte nach einer Nummer; einer der beiden Detektive, die das Haus ständig beobachteten, kam wie zufällig über die Straße zu ihm herüber.
»Na, Kamerad, Sie wollen wohl eine Nummer linden?« fragte er.
»Nummer 43 suche ich«, sagte der Fahrer.
»Das ist hier«, erklärte der Beamte.
Er sah den Chauffeur klingeln, und nachdem er beobachtet hatte, daß er hineingegangen und die Tür hinter ihm geschlossen worden war, bummelte er zu seinem Kollegen zurück. »George wird wohl eine kleine Autofahrt machen«, meinte er; »wollen wir sehen, wo er hinfährt?«
Der Mann, der auf der andern Straßenseite gewartet hatte, nickte.
»Ich glaube nicht, daß er irgendwohin fahren wird, wohin es sich lohnt, ihm zu folgen, aber um die Ecke herum habe ich einen Wagen bereitstehen.«
»Ich werde ihm nachfahren«, entgegnete der zweite Mann bitter. »Haben Sie gehört, was Inspektor Whitling von der City-Polizei gestern abend über mich gesagt hat?«
Der erste Detektiv zeigte reges Interesse.
»Nein, aber ich würde es gern hören.«
»Nun«, begann der Mann, aber dann besann er sich eines Besseren. Es gereichte ihm nicht gerade zur Ehre, daß er einen Mann drei Stunden lang beobachtet hatte und daß sein Opfer die ganze Zeit über gewußt hatte, daß er bewacht wurde.
»Hallo!« sagte er, als sich die Tür von Nr. 43 öffnete, »da ist unser Mann.«
Aber es war nicht der Erwartete; der bärtige Chauffeur kam allein heraus, winkte zum Abschied jemandem im Treppenflur zu, den man nicht sehen konnte, stieg in sein Auto und fuhr fort.
»George geht also nicht aus«, sagte der Detektiv. »Das bedeutet, daß wir noch ein oder zwei Stunden länger hier stehen müssen - dort sieht man sein Licht.«
Vier lange Stunden blieben sie noch auf ihrem Posten, und unaufhörlich beobachtete mindestens einer die einzige Tür, durch welche George Wallis herauskommen konnte. Es gab keine andere Möglichkeit, das Haus zu verlassen, dessen waren sie sicher.
Hinter dem Haus war eine hohe Mauer, und falls der Mann nicht im Einverständnis mit der Hälfte der ehrbaren Hausbewohner nicht nur dieser Gasse, sondern auch der ganzen Charing Cross Street stand, konnte er nach menschlicher Berechnung seine Wohnung nicht heimlich verlassen.
Um halb elf Uhr kam das gleiche Auto wieder an der Haustür vorgefahren, und der Chauffeur wurde eingelassen. Augenscheinlich rechnete er nicht mit einem langen Aufenthalt, denn er stellte den Motor nicht ab; tatsächlich hatte er seinen Wagen kaum länger als dreißig Sekunden allein stehen lassen. Er kam fast unverzüglich zurück und fuhr davon.
»Ich frage mich, was das zu bedeuten hat«, brummte der Detektiv etwas verdutzt.
»Er hat irgendwo eine Bestellung machen müssen«, entgegnete der andere. »Wir hätten es auskundschaften sollen.«
Zehn Minuten später fuhr Inspektor Golden von Scotland Yard in die Straße und sprang vor den beiden Männern aus seinem Wagen.
»Ist Wallis zurückgekehrt?« fragte er rasch.
»Zurückgekehrt?« wiederholte der verblüffte Detektiv. »Er ist noch gar nicht ausgegangen.«
»Nicht ausgegangen?« wiederholte der Inspektor erstaunt. »Ein Mann, auf den seine Personalbeschreibung paßt, wurde vor einer halben Stunde gesehen, als er aus der City-Filiale der Goldschmiedinnung herauskam. Der Tresor ist erbrochen und Juwelen im Wert von zwanzigtausend Pfund sind gestohlen worden.«
Einen Moment herrschte Schweigen.
»Nun, Sir«, meinte der Unterbeamte dann mürrisch, »eine Sache kann ich beschwören, nämlich, daß George Wallis dieses Haus heute abend nicht verlassen hat.«
»Das stimmt, Sir«, pflichtete der zweite Mann bei. »Der Sergeant und ich haben unsern Posten nicht verlassen, seit Wallis heimgekommen ist.«
»Aber«, sagte der bestürzte Inspektor, »es muß Wallis sein. Kein anderer als er könnte die Sache so ausgeführt haben.«
»Er kann es nicht gewesen sein«, beharrte der Beobachter.
»Aber wer, um des Himmels willen, war es dann?« stieß der Inspektor hervor.
Seine Untergebenen enthielten sich klugerweise einer Mutmaßung.
8
Herr Warrell, von der Firma Warrell & Bird, tat sich etwas darauf zugute, ein Mann von Welt zu sein; in gelegentlichen leichten Anwandlungen von Großsprecherei, in die ja auch ehrbare Herren
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