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005 - Die Melodie des Todes

005 - Die Melodie des Todes

Titel: 005 - Die Melodie des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Wallace
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daß ich mich, wenn auch nur im Interesse meines Mannes, wieder etwas in der Gesellschaft zeigen muß.
    Der Brief fiel Frau Cathcart aus der Hand. Wie festgewurzelt stand sie auf der Treppe.
    Edith Standerton überflog noch einmal prüfend die gedeckte Tafel für den Lunch, als ihr Gatte eintrat. Das Leben in dem Haus in St. John s Wood spielte sich in eigenartigen Formen ab.
    Keinem der beiden jungen Leute wäre es möglich erschienen, daß sie so zusammenleben könnten, wie es jetzt tatsächlich der Fall war: in vollkommener Eintracht, in Sympathie, doch anscheinend ohne jegliche Liebesoder Zärtlichkeitsäußerungen von beiden Seiten.
    Der Vergleich mit Bruder und Schwester hätte ihre Freundschaft kaum richtig gekennzeichnet. Dazu fehlten ihnen das gegenseitige Vertrautsein und die gemeinsamen Interessen, die sonst Geschwister haben.
    Sie waren einander fremd, und jeder Tag brachte dem einen eine neue Erkenntnis über den andern. Gilbert machte die Erfahrung, daß dieses stille Mädchen mit den schwermütigen grauen Augen auch Sinn für Humor hatte, bei der geringsten Gelegenheit lachen konnte und eine hervorragend gute Menschenkenntnis an den Tag legte.
    Andrerseits entdeckte sie in ihm eine unerwartete Lebenskraft und eine Zähigkeit in der Verfolgung seiner Pläne, die sie vor ihrer Verheiratung nie an ihm bemerkt hatte. Auch konnte er bei den nicht sehr häufigen Gelegenheiten, wo sie allein beisammen waren, recht unterhaltsam sein. Er war ein weitgereister Mann, der Persien, Arabien und wenig bekannte Länder Ostasiens gesehen hatte.
    Sie spielte nie wieder auf die Geschehnisse jenes schrecklichen Hochzeitsabends an. In diesem Punkt bewegten sich ihre Mutmaßungen vielleicht in einer falschen Richtung. Sie hatte eine Geigenspielerin mit einem außergewöhnlich schönen Gesicht gesehen und vielleicht auf diesen Begleitumstand doch zuviel Gewicht gelegt. Irgendwo im Herzen ihres Gatten lag ein Geheimnis verborgen; die Art dieses Geheimnisses konnte sie nur ahnen. Sie vermutete, daß es irgendwie mit einer Frau im Zusammenhang stünde …
    Obgleich die beiden kein besonders inniges Verhältnis verband, hatte sich doch zwischen ihnen eine Freundschaft entwickelt, die nach der Auffassung der jungen Frau - und sie hing an diesem Glauben - eine bessere Gewähr für Beständigkeit bot als eine Ehe im üblichen Sinn. Es war ein Kameradschaftsverhältnis, bei dem manches als selbstverständlich vorausgesetzt wurde.
    Sie sagte sich selbst: Wenn sie diesen jungen Mann auch nur ein bißchen liebte, dann wäre sie eifersüchtig gewesen, wenn auch nur ein bißchen eifersüchtig, auf die Interessen, die ihn ihr jeden Abend entzogen und ihn oft erst nach Hause kommen ließen, wenn graue Dämmerung den Himmel im Osten verfärbte.
    Sie hatte ihm einmal vom Fenster aus nachgesehen und unbestimmte Zweifel gefühlt, was er in der Nacht draußen zu tun hätte.
    Suchte er Erholung von einer unerträglichen Lage? Er machte nie den Eindruck, als sei es ihm unerträglich. Dieser Gedanke beruhigte sie.
    Gab es - jemand anderen?
    Bei dieser Frage zog sie die Augenbrauen zusammen.
    Einmal ertappte sie sich zu ihrem heftigen Erstaunen dabei, daß ihr bei solchen Gedanken beinahe die Tränen kamen.
    Wer war die Geigenspielerin mit dem schönen Gesicht? Welche Rolle spielte sie in Gilberts Leben?
    Eine Sache hatte sie in Erfahrung gebracht: Ihr Mann spekulierte an der Börse. Zuerst wollte es ihr nicht recht einleuchten, daß er so etwas tun könne. Sie hatte immer einen Mann in ihm gesehen, dem gemeines Geldraffen widerwärtig war. Seine Stellung im Auswärtigen Amt hatte er aufgegeben und war nun an irgendeinem Geschäft beteiligt, über das nicht gesprochen wurde. Sie hatte sich mancherlei Gedanken gemacht; aber bevor sie den Vertragsabschluß eines Börsenmaklers auf seinem Schreibtisch entdeckte, wäre ihr nie der Verdacht gekommen, Erfolge an der Börse könnten das Ziel seines Ehrgeizes bilden.
    Bei diesem Abschluß schien es sich um ein Riesengeschäft zu handeln.
    Aktien im Werte von Zehntausenden waren da aufgeführt. Sie verstand sehr wenig von Börsengeschäften und erinnerte sich nur mancher Vormittage, an denen ihre Mutter infolge ihrer Verluste unausstehlich gewesen war. Da kam es ihr in den Sinn, daß sie, wenn er ein Geschäftsmann war - eine unbestimmte, nichtssagende Bezeichnung -, selbst etwas mehr leisten könne, als nur zu Hause zu sitzen und der Dienerschaft Anweisungen zu geben.
    Sie konnte ihm auch noch auf andere

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