005 - Die Melodie des Todes
»Selbstverständlich hätte ich die Sache der Polizei berichten und eine Beschreibung des Halsschmuckes veröffentlichen lassen können. Möglicherweise wäre mir dann der Verlust von einer Versicherung ersetzt worden, aber das liegt nicht in meiner Absicht.«
Dieser gute Geschäftsmann hätte hinzufügen können, daß seine Versicherungspolice einen solchen Verlust nicht gedeckt hätte; denn bei der Festsetzung der Versicherungsprämien für die eventuellen Verluste eines Maklerbüros sieht man normalerweise nicht die Möglichkeit eines Juwelendiebstahls vor.
»Ich bin bereit, den Verlust auf mich zu nehmen«, fuhr er fort. »Das heißt, ich bin bereit, innerhalb vernünftiger Grenzen die Sache aus meiner eigenen Tasche gutzumachen, ebensosehr in meinem Interesse wie in dem Ihrigen. Andernfalls, wenn Sie auf meinen Vorschlag nicht eingehen, bleibt mir nichts andres übrig, als die Geschichte sehr, sehr ausführlich, sehr ausführlich«, er wiederholte das Wort eindringlich, »der Polizei und der Presse zu berichten. Nun, was meinen Sie dazu?«
Wahrheitsgemäß hätte Frau Cathcart gestehen müssen, sie wisse nicht, was sie davon halten solle.
Der Halsschmuck hatte hohen Wert, und dann kamen noch andere Erwägungen in Betracht.
Herr Warrell dachte offenbar an seinen ideellen Wert, denn er fuhr fort:
»Aber in Anbetracht der Tatsache, daß Juwelen dieser Art einen besonderen Wert für die Familie haben, möchte ich den Gedanken anregen, ob nicht Ihr Schwiegersohn vielleicht den Verlust ersetzen könnte.«
Sie wandte sich mit einem harten Lächeln zu ihm.
»Mein Schwiegersohn«, höhnte sie. »Guter Gott!«
Warrell kannte Standerton und betrachtete ihn als einen der Günstlinge des Schicksals, über dessen finanzielle Sicherheit kein Zweifel bestehen konnte.
Der verächtliche Ausdruck in der Stimme der Frau bestürzte ihn, wie nur ein Citymann durch ein Tuscheln gegen die Zuverlässigkeit eines bombensicheren Papiers sich bestürzen läßt.
Für einen Augenblick vergaß er den Zweck seines Besuches.
Er hätte sie gern um eine Erklärung gebeten, doch fühlte er, es gehöre nicht in den Geschäftsbereich von Frau Cathcarts Makler, Mitteilungen über ihre Familienangelegenheiten zu erbitten.
»Eine recht üble Geschichte, in die Sie mich da hineingebracht haben, Herr Warrell«, sagte sie und erhob sich.
Er stand gleichfalls auf und nahm Hut und Handschuhe.
»Es ist wirklich sehr peinlich«, erwiderte er. »Schrecklich peinlich für Sie und ebenso schrecklich peinlich für mich, meine liebe Frau Cathcart. Sicher werden Sie Mitleid mit meiner heiklen Lage haben.«
»Ich habe Ursache genug, mich selbst zu bemitleiden«, entgegnete sie kurz.
Nach dem Weggang des Maklers blieb sie allein im Empfangszimmer sitzen.
Was sollte sie tun? Denn etwas wußte Warrell nicht, nämlich, daß das Halsband nicht ihr gehörte. Der alte Oberst hatte es für seine Tochter neu fassen lassen und es ihr vermacht.
Ein Familienkreis, der nur aus Mutter und Tochter besteht, verfügt meist gemeinsam über das vorhandene Eigentum, während dies bei Familien größeren Umfangs etwas sonderbar erscheinen würde. Obwohl Edith wußte, daß der Schmuck ihr gehörte, hatte sie nie etwas dabei gefunden, wenn ihre Mutter ihn trug, und hatte auch nie nur eine Andeutung gemacht, daß sie ihn lieber selbst dem bescheidenen Bestand ihrer Schmucksachen in ihrer eigenen Kassette einverleibt hätte.
Jedoch hatte er immer als ›Ediths Halsschmuck‹ gegolten.
Frau Cathcart zuckte die Achseln; da war nichts zu machen, sie mußte sich auf ihr Glück verlassen. Sie konnte sich nicht vorstellen, daß Edith das Schmuckstück je vermissen würde. Aber da ihr Gatte nun einmal arm war und da sie dem Mann gegenüber von diesem dummen Pflichtgefühl besessen war, so bestand immerhin die Möglichkeit, daß sie einfach aus dem überspannten Wunsch heraus, ihrem Mann zu helfen, über den Verbleib des Halsbandes Fragen stellen würde. Aber das sah Edith nicht ähnlich, dachte Frau Cathcart dann wieder; mit diesem beruhigenden Gedanken ging sie die Treppe hinauf in ihre Zimmer.
Auf halbem Weg blieb sie stehen, um das Dienstmädchen mit der eben eingelaufenen Post abzuwarten. Mit einem leichten Zusammenzucken erkannte sie auf dem obersten Brief die Hand schrift ihrer Tochter und riß den Umschlag auf. Der Brief war kurz:
Liebe Mutter!
Würdest du so freundlich sein, mir das Halsband zukommen zu lassen, das mir von Vater vermacht wurde. Ich habe das Gefühl,
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