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005 - Die Melodie des Todes

005 - Die Melodie des Todes

Titel: 005 - Die Melodie des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Wallace
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wieder!
    Jetzt war es zu hören, sanft und melancholisch über dem Wirrwarr von Lauten und dem Stimmengemurmel schwebend, dann verklang es… Gilbert Standerton horchte gespannt und bemühte sich, den Ort, woher die Töne kamen, festzustellen.
    Es war die ›Melodie in F-Dur‹, die der unsichtbare Musiker spielte.
    »Es wird ein Gewitter geben.«
    Gilbert hörte die Stimme nicht. Er saß mit den Händen um die Knie und schweißüberströmtem Gesicht auf dem Bock eines Fuhrwerks.
    In seiner Haltung lag etwas Tragisches, das fast ein wenig Besorgnis erregen konnte. Das Profil, das er seinem gereizten Freund zuwandte, zeigte klassische Linien - eine hohe und wohlgeformte Stirn, eine vielleicht etwas lange Nase, ein entschlossenes Kinn.
    Als Leslie Frankfort zu dem geistesabwesenden Träumer aufblickte, mußte er an das landläufige Bild von Dante denken, obwohl Dante niemals einen steifen Hut trug oder ein so ausschließliches Interesse für die Menschenmenge an einem Renntag gezeigt hätte.
    »Es wird ein Gewitter geben.«
    Leslie kletterte hinauf und ließ sich auf den Sitz neben Gilbert fallen. Der andre fuhr aus seiner Träumerei auf.
    »Wirklich?« fragte er und wischte sich die Stirn ab.
    Doch als er um sich schaute, beobachtete er nicht die dunklen Wolken, die sich über Banstead ballten, sondern die dichtgedrängten Massen von Männern und Frauen, die grellen Plakate, die eindringlich den guten Ruf von hundert Firmen verkündeten; die Bretterbuden am Hügel, die lange Reihe von Leinwandplanen, die man aufgestellt hatte, um irgendeinen Whisky anzupreisen; die dünnen Gerüste der Tribünen an der entgegengesetzten Seite der Rennbahn. Die Geschäftigkeit, der Lärm und das lebensvolle Treiben der unübersehbaren Menschenmenge ließen auch ein Junigewitter als belanglos erscheinen.
    »Wenn Sie nur wüßten, wie bemitleidenswert Sie mit zusammengezogenen Brauen aussehen«, sagte Leslie Frankfort etwas verärgert, aber gutmütig, »so würden Sie nicht in einer Pose dasitzen, wie für ein Bild des ›ruinierten Spielers‹. Mein lieber Freund, mit Ihrem langen, trübseligen Gesicht würden Sie ein gutes Modell für einen Farbdruck abgeben, der in der Weihnachtsnummer der Anti-Spielzeitung erscheinen müßte. Ich vermute, es gibt so eine Zeitung.«
    Gilbert lachte kurz.
    »Diese Menschen interessieren mich«, sagte er, sich zum Sprechen aufraffend. »Können Sie sich nicht vorstellen, was sie alles denken? Jeder einzelne von ihnen stellt eine eigene Persönlichkeit dar, jeder von ihnen trägt eine Hoffnung oder eine Furcht in seinem Herzen; jeder einzelne hat die Fähigkeit, zu lieben, zu hassen oder zu trauern. Schauen Sie auf den Mann dort!«
    Der Mann, auf den er wies, stand in einer kleinen grünen Oase, wo der Verkehr des Publikums so geregelt war, daß ein freier Platz blieb, in dessen Mitte er sich aufhielt. Es war ein Herr von mittlerer Größe mit einem schwarzen, steifen Hut im Nacken und einer langen, dünnen Zigarre zwischen den regelmäßigen Zähnen. Er war zu weit entfernt, als daß Leslie diese Einzelheiten hätte unterscheiden können, aber Gilbert Standertons Vorstellungskraft ergänzte die Lücken des Bildes, denn er hatte diesen Mann schon einmal gesehen.
    Als fühle er die beobachtenden Blicke, drehte sich der Mann um und kam langsam zu dem abgegrenzten Wagenplatz heran. Er nahm die Zigarre aus dem Mund und lächelte, als er den Herrn auf dem Bock erkannte.
    »Wie geht es Ihnen, Sir?«
    Seine Stimme klang schrill und dünn, als läge eine unermeßliche Entfernung zwischen ihnen, aber er schrie offenbar laut, um seine Stimme über das Stimmgebrause der Menge zu erheben. Gilbert winkte lächelnd mit der Hand, worauf sich der Mann mit einem Lüften des Hutes umwandte und in einem Menschenschwarm verschwand.
    »Ein Dieb«, sagte Gilbert, »und zwar einer von beachtlichem Format - er heißt Wallis; es gibt viele Wallis’ hier. Für einen denkenden Menschen ist solch eine Menge ein schreckliches Schauspiel.«
    Der andre blickte ihn scharf an.
    »Die Menschenmenge wird erst etwas Schreckliches, wenn man bei einem Gewitter durch sie hindurch muß«, sagte er als praktischer Mann. »Ich bin dafür, daß wir gehen und das Auto holen.«
    Gilbert nickte. Er erhob sich steif, als hätte er den Krampf in den Beinen und stieg langsam auf den Boden hinab. Sie gingen durch die Einfriedung und überquerten die Rennbahn, kamen durch den kleinen Sattelplatz, dann durch lange Gänge, wo Presseleute, Jockeis und

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