005 - Die Melodie des Todes
Sie sollte den Eindruck hervorrufen, er sei erst nach langen und sorgfältigen Erwägungen zu dem gegenwärtigen Entschluß gekommen, und als sei das Aufstellen eines Testaments ein ernsthaftes und wichtiges Geschäft, das man vielleicht ein-oder, zweimal während seines Lebens unternimmt.
Jack nickte.
»Sehr wohl, Herr General«, sagte er. »Haben Sie einen Entwurf?«
»Ich habe keinen Entwurf«, fuhr ihn der andre an. »Ich habe ein schon vorbereitetes Testament, und hier ist eine Abschrift davon.«
Er warf sie dem Anwalt zu.
»Ich weiß nicht, ob Sie das schon gesehen haben?«
»Ich glaube, ich habe eine Kopie in meiner Tasche«, sagte Jack Frankfort.
»Was, zum Teufel, wollen Sie damit sagen, daß Sie mein Testament in Ihrer Tasche mit herumschleppen?« knurrte der andere.
»Ich wüßte mir keinen besseren Ort dafür«, entgegnete der junge Mann gelassen. »Sie würden es doch nicht gerne sehen, wenn ich es in meiner Hosentasche mit mir herumtrüge, nicht wahr?«
Der General starrte ihn an.
»Werden Sie nicht unverschämt, junger Mann«, sagte er unheilvoll.
Das war kein guter Anfang, aber Jack wußte, daß jede Taktik angewendet worden war, von der schmeichlerischen bis zur hochtrabenden; aber keine hatte Erfolg gehabt, und das Ende aller Bemühungen, soweit die Anwälte in Betracht kamen, war immer der Abbruch der Geschäftsbeziehungen zu dem Hause des Generals.
Er wäre ein ziemlich wertvoller Klient gewesen, wenn man ihn dauernd hätte festhalten können. Aber kein einziger Anwalt hatte noch eine Methode entdeckt, ihn sich zu sichern.
»Also gut«, brummte der General schließlich. »Bitte, bringen Sie nun genau zu Papier, was ich für Wünsche habe, und machen Sie dann einen entsprechenden Testamentsentwurf. In erster Linie widerrufe ich alle früheren Testamente.«
Jack, mit Papier und Bleistift bewaffnet, nickte und notierte sich die Sache.
»Als zweites wünsche ich, daß Sie klar zum Ausdruck bringen, daß kein Pfennig meines Vermögens an Dr. Sundles Hundeheim geht. Der Mann ist unverschämt gegen mich gewesen, und ich hasse Hunde sowieso.
Keinen Pfennig meines Geldes soll irgend ein Krankenhaus oder überhaupt irgendeine Wohltätigkeitsanstalt bekommen.«
Der alte Sünder deklamierte dies alles mit Genugtuung.
»Ich hatte ursprünglich die Absicht, eine recht ansehnliche Geldsumme als Stammkapital für ein Krankenhaus zu hinterlassen«, erläuterte er, »aber nach dem Verhalten dieser schändlichen Regierung …«
Jack lag die Frage auf der Zunge, was die Auseinandersetzung des alten Herrn mit der bösen Regierung damit zu tun habe, daß er allen Wohlfahrtseinrichtungen für die Armen seine Unterstützung entzog, aber wohlweislich behielt er die Frage für sich.
»Überhaupt keine Wohltätigkeitsanstalt!«
Der alte Herr sprach langsam und schlug bei jedem Wort nachdrücklich auf den Tisch.
»Hundert Pfund vermache ich dem Heeres-Mäßigkeitsverein, obgleich ich ihn für eine eselhafte Einrichtung halte. Hundert Pfund für das Soldatenheim in Aldershot, die auf tausend Pfund erhöht werden, wenn man ihm seinen konfessionellen Charakter nimmt.« Er grinste und fügte hinzu: »Aber es wird bis zum jüngsten Tag zur Kirche von England gehören, daher ist das Geld sicher! Und«, fuhr er fort, »kein Geld für das hiesige Krankenhaus - lassen Sie dieses Legat ja nicht mit einschlüpfen. Dieser blöde, verrückte Doktor - ich habe seinen dummen Namen vergessen - stand an der Spitze der Bewegung, die ein Wegerecht durch mein Besitztum durchsetzen wollte. Ich werde ihm schon ein ›Wegerecht‹ geben!«
Er brauchte eine halbe Stunde, um alle die Leute einzeln anzuführen, die in seinem Testament nicht bedacht werden sollten, und während dieser Zeit überschritt der Gesamtbetrag seiner spärlichen Legate nicht tausend Pfund.
Als er zu Ende war, schaute er den jungen Rechtsanwalt ratlos an, und ein leiser Schimmer von Humor trat in seine harten blauen Augen.
»Ich denke, wir haben jedermann bedacht«, sagte er, »ohne wesentliche Verfügungen getroffen zu haben. Kennen Sie meinen Neffen?« fragte er plötzlich.
»Ich kenne einen Freund Ihres Neffen.«
»Sind Sie verwandt mit diesem grinsenden Idioten Leslie Frankfort?« brüllte der alte Mann.
»Er ist mein Bruder«, entgegnete der andre ruhig.
»Hm«, machte der General. »Ich dachte mir’s gleich, als ich Ihr Gesicht sah. Sind Sie mit Gilbert Standerton zusammengekommen?« fragte er plötzlich.
»Ich habe ihn ein-oder zweimal
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