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005 - Die Melodie des Todes

005 - Die Melodie des Todes

Titel: 005 - Die Melodie des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Wallace
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der ihn gefangen gesetzt hatte, den Inhalt wahrscheinlich lesen wollte.
    »Verzeihen Sie vielmals«, sagte er, »aber Sie können den Brief ja öffnen, der Gummi ist noch feucht.«
    Wallis schüttelte den Kopf.
    »Wenn Sie mir sagen, daß nicht mehr drin steht, als ich Sie ersucht habe zu schreiben, oder als ich erwarten kann, daß Sie schreiben werden, so genügt mir das«, entgegnete er.
    Damit verließ er Gilbert, der nun in seiner Einsamkeit reichlich Stoff zum Nachdenken hatte.

13
    General Sir John Standerton war ein Mann von sehr reizbarer Gemütsart. Man hielt ihm als Entschuldigung zugute, daß er den größten Teil seines Lebens in Indien zugebracht hatte, einem Land, dem man die Wirkung zuschreibt, auch den sanftesten Charakter zu untergraben. Er war Junggeselle und lebte für sich allein, abgesehen von einem kleinen Dienerheer. Dem Landgut, das er vor zwanzig Jahren käuflich erworben, hatte er einen andern Namen gegeben: Es war in der ganzen Gegend als ›Die Residentschaft‹ bekannt. Er hielt dort eine Art Feudalherrschaft aufrecht.
    Seine Feinde behaupteten, er halte sein Dienerbataillon nur deswegen auf voller Stärke, um immer jemanden zu haben, auf den er schimpfen konnte; aber das war sicher gehässige Verleumdung. Man erzählte sich auch, er nehme sich jedes Jahr einen neuen Anwalt, und es stand fest, daß er seine Banken mit ungewöhnlicher Geschwindigkeit wechselte.
    Leslie Frankfort saß eines Morgens mit seinem Bruder beim Frühstück in seinem kleinen Haus in Mayfair.
    Jack Frankfort war ein vielversprechender junger Rechtsanwalt und gehörte zu dem Anwaltsbüro, das zur Zeit die Geschäfte Sir John Standertons verwaltete.
    »Übrigens«, sagte Jack Frankfort gerade, »ich werde heute nachmittag einen alten Freund von dir aufsuchen.«
    »Welchen alten Freund?«
    »Standerton.«
    »Gilbert?«
    Jack Frankfort lächelte.
    »Nein, Gilberts schrecklichen Onkel; wir haben gerade etwas für ihn zu erledigen.«
    »Worum handelt es sich bei deinem Besuch?«
    »Um ein Testament, mein Junge; wir sollen ein Testament machen.«
    »Wie viele Testamente hat der alte Mann wohl schon gemacht?« fragte Leslie nachdenklich. »Armer Gilbert!«
    »Warum armer Gilbert?« fragte der andre.
    »Nun, er war ungefähr zehn Minuten lang der Erbe seines Onkels.«
    Jack grinste.
    »Jedermann ist mal für zehn Minuten der Erbe des alten Standerton. Ich glaube wahrhaftig, er hat im Lauf der letzten zwanzig Jahre jedes Krankenhaus, jedes Hundeheim, jedes Katzenspital, jede wunderliche Anstalt, von der die Welt je gehört hat, zu Erben eingesetzt, und heute will er wieder ein andres Testament machen.«
    »Leg ein gutes Wort für Gilbert ein«, sagte Leslie.
    Der andre brummte.
    »Da gibt es keine Möglichkeit, für jemanden ein gutes Wort einzulegen. Der alte Tomlins, der zuletzt mit ihm zu tun hatte, hat gesagt, die größte Schwierigkeit bestehe darin, ein Testament für den alten Burschen fertigzustellen, bevor der Alte sich ein neues ausgedacht hat. Jedenfalls ist er jetzt gerade wieder auf ein neues Testament versessen, und ich werde hinfahren und ihn aufsuchen. Kommst du mit? Du kennst doch den alten Herrn?«
    »Nicht um mein Leben komme ich mit«, entgegnete der andre hastig. »Ich kenne ihn allerdings, und er kennt mich! Er weiß, daß ich mit Gilbert auf gutem Fuß stehe. Ich war einmal mit Gilbert zusammen zwei Tage bei ihm im Hause. Um Gottes willen, gib nicht zu, daß du mein Bruder bist, sonst wird er sich eine andre Anwaltsfirma aussuchen.«
    »Es ist nicht meine Gepflogenheit, mich meiner Verwandtschaft mit dir zu rühmen«, erwiderte Jack.
    »Du bist ein frecher Kerl«, erwiderte Leslie anerkennend. »Aber ich glaube, als Anwalt mußt du wohl so sein.«
    Jack Frankfort reiste am Nachmittag nach Huntingdon; in seinem Abteil war ein freundlicher Herr, mit dem er alsbald ins Gespräch kam, da beide nicht zu jenen unleidlichen Durchschnittsengländern gehörten, die auf der Reise eine unüberwindliche Scheu vor der Anknüpfung einer Unterhaltung haben.
    Der Herr war offenbar schon in der ganzen Welt herumgekommen und kannte viele Leute, die auch Jack bekannt waren. Er plauderte eine Stunde lang interessant über fremde Gegenden, und als der Zug auf der kleinen Aussteigestation Jacks anhielt, stieg sein Reisegefährte mit ihm aus.
    »Was für ein merkwürdiges Zusammentreffen«, sagte der Fremde herzlich. »Das ist auch mein Reiseziel; ein wunderliches kleines Nest, nicht wahr?«
    Trotz der Bezeichnung

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