005 - Die Melodie des Todes
Lippen des anderen spielte.
»Ich dachte, daß Sie darüber sehr erstaunt sein würden«, sagte er. »Ja, das ist nur die Hälfte. Ich werde Ihnen etwas zeigen. Nachdem Sie schon so viel wissen, sollen Sie alles wissen!«
Er schloß die Tür zu einem andern Raum auf und schritt, von Gilbert gefolgt, hinein. Es war ein kleines, durch Oberlicht beleuchtetes Zimmer, dessen Mitte von einer Art Käfig eingenommen wurde - einem Stahlgitter zur Abgrenzung von Geldschränken, wie sie manchmal französische Firmen verkaufen.
»Ein hübscher Käfig«, sagte Herr Wallis mit Stolz.
Er schloß die schmale Stahltür auf und trat hinein; Gilben folgte ihm.
»Wie haben Sie das Ding überhaupt hereingebracht?« fragte Gilben neugierig.
»Es war in Teile zerlegt und ist eben erst zusammenmontiert worden, damit es Kunden gezeigt werden kann. Das Gitter kann sehr leicht auseinandergenommen werden. Zwei oder drei Mechaniker schaffen es in einem Tag.«
»Ist das Ihre andre Abteilung?« fragte Gilbert trocken.
»In gewissem Sinne ja«, sagte Wallis. »Wenn Sie dort in die Ecke gehen und den ersten Riegel herunterziehen, werden Sie etwas sehen, was Sie vielleicht nie zuvor gesehen haben.«
Gilbert war schon halbwegs in der Ecke, als ihm plötzlich der durchsichtige Trick klar wurde. Er wandte sich rasch um, aber eine Pistole war genau auf sein Herz gerichtet.
»Nehmen Sie Ihre Hände hoch, Herr Gilbert Standerton«, versetzte George. »Sie mögen es ja mit Ihren Abrechnungsvorschlägen ganz ehrlich meinen, aber ich habe mir doch überlegt, daß ich lieber erst noch das Geschäft heute abend ausführe, bevor ich mich ins Privatleben zurückziehe. Sie müssen wissen, es wird wieder ein Fall ausgleichender Gerechtigkeit sein. Ihr Onkel …«
»Mein Onkel!« rief Gilbert.
»Ihr Onkel«, erwiderte der andre mit einer Verbeugung. »Ein ehrenwerter, aber wunderlicher alter Gentleman, der in einem unsrer besten Geldschränke Juwelen im Wert von beinahe einer Viertelmillion Pfund verwahrt hat, die berühmten Standerton-Diamanten, die Sie, nehme ich an, eines Tages erben sollen. Ist es nicht gerechter Ausgleich«, fragte er, während er, mit seiner Pistole den Gefangenen in Schach haltend, rückwärts hinausging, »gerade Sie ein bißchen zu berauben? Möglicherweise«, fuhr er mit grimmigem Humor fort, »habe auch ich Gewissensskrupel und werde bestrebt sein, Ihnen das Eigentum, das ich heute nacht stehlen werde, wieder zu ersetzen.«
Er ließ die Gittertür klirrend einschnappen, schloß sie zweimal ab und ging zu der Bürotür.
»Sie werden hier achtundvierzig Stunden bleiben«, erklärte er; »nach Ablauf dieser Zeit werden Sie freigelassen - auf mein Wort. Es mag sehr unangenehm für Sie sein, aber es gibt noch viel unangenehmere Ereignisse im Leben, die wir erdulden müssen. Ich überlasse Sie Ihrem gütigen Geschick.«
Damit ging er hinaus. Gilbert glaubte, er sei fortgegangen, aber nach einer Viertelstunde kehrte er zurück, brachte einen großen Kaffeetopf, zwei funkelnagelneue Thermosflaschen und zwei Pakete mit, deren Inhalt sich später als belegte Brote erwies.
»Ich kann Sie nicht verhungern lassen«, sagte er. »Es wird sich empfehlen, Ihren Kaffee warm zu halten. Da es Ihnen in Ihrer langen Wartezeit vielleicht zu kalt werden könnte, habe ich Ihnen noch etwas mitgebracht.«
Er ging ins Büro zurück, holte zwei schwere Mäntel und schob sie durch die Gitterstangen.
»Das ist sehr anständig von Ihnen«, sagte Gilbert.
»Nicht der Rede wert«, entgegnete der höfliche Herr Wallis.
Gilbert war ohne Waffe; aber auch wenn er eine besessen hätte, so hätte sie ihm nichts geholfen.
Wallis ließ seine Pistole nicht aus der Hand, nicht einmal, als er die Lebensmittel durch das Gitter reichte.
»Ich wünsche Ihnen einen recht guten Abend. Falls Sie gern eine völlig unverfängliche Mitteilung, etwa des Inhalts, Sie könnten wegen dringender Geschäfte nicht heimkommen, an Ihre Frau schicken möchten, würde es mir ein besonderes Vergnügen bereiten, die Nachricht überbringen zu lassen.«
Er reichte durch das Gitter ein Blatt Papier und einen Füllfederhalter hinein. Es war eine feinfühlige Aufmerksamkeit, die Gilbert wohl zu schätzen wußte.
Dieser Schwerverbrecher zeigte bessere Charakterzüge als manche Leute, die nie mit dem Gesetz in Konflikt gekommen waren.
Er schrieb rasch ein paar Worte der Entschuldigung, faltete das Blatt, steckte es in den Umschlag und klebte diesen zu, bevor ihm einfiel, daß der Mann,
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