005 - Festung des Blutes
später hörte er das Knirschen morscher Bretter. Es gelang ihm noch, einen Aufschrei zu unterdrücken, dann sauste er durch das entstandene Loch in die nachtschwarze Tiefe, schlug irgendwo mit dem Kopf auf und verlor die Besinnung.
***
Der Mond stand tief und warf die Schatten der Bäume über das gelbbraune Wasser des Olanya. Eine trächtige Flegge zog mit Gebrumm über dem versumpften Fluss ihre Kreise. Sie war eine Elle lang, und ihr scharfer Blick suchte die Umgebung ab. Sie war auf warmes Aas aus und wollte ihre Eier ablegen, damit die Madenbrut sich später davon ernähren konnte.
Daman stand am Fenster und rieb sich den schmerzenden Schädel. Die Nachwirkungen des Blitzes peinigten ihn, als er die Flegge vom obersten Stock der Festung aus beobachtete, und er schüttelte sich, als sie auf das Ufer des sumpfigen Flusses zuflog. Sie hatte eine verendete Jungtaratze erspäht, an deren Kadaver eine drei Meter lange Androne nagte. Doch Fleggen waren Andronen unterlegen, da ihre Kiefer deren Chitinpanzer nicht durchdringen konnten.
Außerdem waren sie dumm. Als sie sich auf der Taratze niederlassen wollte, zuckte die riesenhafte Flugameise hoch und biss ihr in den Kopf.
Daman seufzte. Er fühlte sich irgendwie mit dem Insekt verwandt.
Dank seines väterlichen Erbes, das sich über Millan und das Umland erstreckte, hatte er ein Leben lang genug zu saugen gehabt. Doch seit die Gerul-Pest in diesem Landstrich wütete, hatte sich alles verändert. Über die Hälfte seiner Leute waren ständig unterwegs, um in anderen Gebieten Beute zu machen, und die vor über zwei Monden erfolgte Machtübernahme durch Jacobo trug auch nicht zu seinem Wohlbefinden bei. Jacobo ließ keine Gelegenheit aus, ihn mit seinem schrecklichen Blitz vor den Augen seines Volks zu erniedrigen.
Er hatte ihn zu einem bloßen Lakai gemacht. Und auch das nur, weil er auf seine Kenntnisse angewiesen war. Doch mittlerweile beherrschte Jacobo neben der Sprache der Millani auch das höchst komplizierte Idiom der Nosfera so gut, dass er sich mit seinen Untertanen verständigen konnte. Momentan gab Daman seine Befehle zwar noch weiter, aber irgendwann würde auch dies nicht mehr nötig oder Jacobo zu lästig sein.
Der fremde Herrscher lernte schnell, sehr schnell. Er war aus dem eisigen Norden gekommen, aus dem Land hinter den Bergen, in dem die schrecklichsten Götter hausten. Er war vermutlich ihr Sendbote, und seine Pläne waren Daman nicht geheuer.
Er hatte neue Sitten eingeführt: Die Nosfera mussten so genannte ›Ziffern‹ auf der Kopfhaube tragen, damit Jacobo sie unterscheiden konnte. Früher hat ten Damans Krieger die Millani nur in Notzeiten gejagt, wenn die Beute an Gerulen schlecht gewesen war. Nun ließ Jacobo die Einwohner zu Dutzenden in die Festung bringen, um sie als Sklaven zu verkaufen.
Außerdem hatte er Kuriere in alle Windrichtungen ausgesandt, um bei anderen Stämmen seltene Essenzen zu kaufen, die er angeblich brauchte, um sein Volk zu verbessern. Er hatte angekündigt, niemand müsse mehr wegen Blutmangels sterben, wenn er mit Hilfe dieser Kräuter ein Serum fabrizieren könne was immer das auch sein mochte.
Wie es schien, hatte er Glück gehabt. Erst vor vier Tagen war ein Kurier aus dem eiskalten Suizza zurückgekehrt und hatte berichtet, dass eines der Bergvölker sich auf einen Handel eingelassen hatte: Sie wollten die gesuchten Essenzen gegen fünfzig Sklaven eintauschen, wovon die Hälfte gesunde junge Maiden sein sollten.
Daman waren Jacobos Ziele nicht ganz klar. Er verstand nicht, was er mit verbessern meinte. Er verstand auch nicht, wieso Jacobo glaubte, ein Zaubertrank könne eine Urmutter hervorbringen, deren Kinder niemals starben. Er wusste nur eins: Er stand Jacobo im Weg. Er würde bald den Weg allen Verdaulichen gehen. Und dazu hatte er keine rechte Lust.
Er hatte Millan von seinem Vater übernommen, wie es Sitte war. Sein Vater hatte die Stadt und ihre Bewohner von seinem Vater geerbt, wie dieser zuvor von seinem und so fort: seit zwölf Generationen, seit der Katastrophe, als der Zorn der Götter flammenspeiend über die Welt gekommen war.
Vor zweieinhalb Monden hatten Damans Krieger Jacobo bei einem Beutezug in den Bergen in einem Gerul-Nest gefunden. Dort war er auf seiner Reise zu den Menschen gestrandet. Die Krieger hatten sich an der Gerul-Brut gütlich getan und sich dann auf Jacobo gestürzt, ohne zu ahnen, dass er ein Sendbote der finsteren Götter war.
Er hatte sie mit Blitzen bezwungen,
Weitere Kostenlose Bücher