005 - Gekauftes Glück
gelegt hatte, eine Möglichkeit zur Flucht gefunden hatte. Nun, auch er hatte sich doch von ihr befreien wollen, nicht wahr? Tagelang hatte er nach einem Weg gesucht, wie er sich ihr gegenüber verhalten solle, und nun hatte sie ihm die Mühe abgenommen und für ihn die Entscheidung getroffen. Aber warum fühlte er sich jetzt innerlich so leer?
22. KAPITEL
Das blaugrüne Wasser des Ligurischen Meeres glitzerte im Schein der Oktobersonne, und die Wellen schwappten und schäumten um die hie und da verstreuten Felsen, die aus der Brandung vor der Küste aufragten. Aus der offenen Kutsche, die hoch über der Uferklippe auf einem Sandweg stand, hatte Ashleigh weite Sicht über den Strand, doch es war nicht die Schönheit des Tages oder das pittoreske Bild der Küste, die ihre Aufmerksamkeit fesselten, während sie im Wagen saß und sich Kühlung zufächelte. In der letzten halben Stunde hatte sie mit dem Kutscher darauf gewartet, daß Megan und Patrick zurückkamen, und angestrengt hielt sie Ausschau nach den beiden.
Es war etwas über zwei Monate her seit jenem Abend, da sie aus dem Haus in der King Street in dem lächerlich überfüllten Brougham geflohen war, zwei lange Monate, in denen Patricks Bemühungen, mit ihnen zu seinem Besitz in Amerika zu reisen, von den britischen Küstenwachtschiffen durchkreuzt worden waren. Viele Wochen hatten er, Ashleigh und Megan an Bord seines Schoners warten müssen, der in einer verborgenen Bucht nach der anderen entlang der englischen Küste hatte vor Anker gehen müssen, und man hatte, wenn die Situation bedrohlich geworden war und man befürchten mußte, entdeckt zu werden, nur nachts von einem verschwiegenen Ort zum nächsten weiterfahren können.
Doch vor knapp zwei Wochen, nachdem Ashleigh wiederholt nach dem Erwachen Übelkeit empfunden hatte und Megan das Eingeständnis machen mußte, daß sie guter Hoffnung sei, war Patrick zu der Erkenntnis gelangt, nun könne er nicht mehr auf eine sichere Passage nach Amerika warten. Nachdem er erfahren hatte, in welchem Zustand
Ashleigh sich befand, hatte er zunächst versucht, sie zur Rückkehr zu ihrem Gatten zu bewegen, doch als diese Bemühungen fruchtlos geblieben waren, eine Alternative zu dem Plan, zu seinem Besitz in Virginia zu segeln, vorgeschlagen. „Wir werden eine falsche Flagge setzen", hatte er gesagt. „Eine holländische oder belgische, denke ich, und dann nach Süden segeln."
Und als Ashleigh und Megan ihn nach ihrem endgültigen Ziel gefragt hatten, hatte er ihnen ein Schreiben gezeigt, das er aus Livorno erhalten hatte, einer kleinen, an der toskanischen Küste gelegenen Stadt, und den beiden Frauen die unglaubliche Geschichte der Frau erzählt, die ihm den Brief geschickt hatte, einer Dame namens Maria, Contessa di Montefiori, der früheren Mary Westmont, Brett Westmonts Mutter.
Nun wartete Ashleigh, in der Kutsche sitzend, darauf, daß er und Megan zurückkamen und bestätigten, daß man sie, wie es in dem Brief gestanden hatte, in der Villa der Contessa willkommen heißen würde. Sie beugte sich um den zusammengesunkenen Kutscher, dem im Schlaf der Kopf immer tiefer auf die Brust fiel, und lugte in der Hoffnung, Patrick und Megan zurückkommen zu sehen, den Weg hinunter. Niemand hätte mehr entzückt sein können als sie, nachdem sie von der Liebe erfahren hatte, die sich zwischen dem Bruder und ihrer besten Freundin entwickelt hatte. Patrick und Megan hatten vor, bald zu heiraten, und es war die Freude, die sie angesichts des Glückes der beiden empfand, die in ihr die Entschlossenheit hatte reifen lassen, den eigenen Kummer zu verhehlen, zumindest dann, wenn sie in ihrer Nähe waren.
Es dauerte nicht lange, bis sie Patrick und Megan zurückkommen sah. Bei der Kutsche angelangt, erzählten sie ihr, sie hätten mit dem Butler der Contessa gesprochen und erfahren, die Gräfin sei nachmittags nicht daheim, werde jedoch bald zurückerwartet und habe, nachdem sie den von Patrick vorausgeschickten Brief, in dem er seine Ankunft ankündigte, erhalten hatte, hinterlassen, sie würde sich freuen, ihn und seine Begleitung bei sich willkommen heißen zu können. Seit der Flucht aus London, oder vielleicht war es sogar schon länger her, begann Ashleigh nun zum erstenmal, sich zu entspannen.
Der Butler empfing die Besucher an der gewölbten Doppeltür, die von einem großen, mit Blumenbeeten geschmückten Hof ins Gebäude führte, versicherte sich rasch, wann mit der Ankunft des Gepäckes vom Schiff zu rechnen
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