0050 - Der Gelbe Satan
hatte sich umgezogen. Das dunkelgraue Kleid war von bestechender Eleganz. Ihren Hals schmückte eine Perlenkette.
»Wo kommen Sie denn her, Mister?« erkundigte sie sich.
Ich grinste und zeigte mit dem Daumen über meine Schulter. »Aus der Leichenkammer.«
Sie blickte an mir vorbei und runzelte die Stirn. »Soll das ein Scherz sein? Oder sind Sie ein Einbrecher?«
Ich holte tief Luft. Wenn die Süße mich hier auf den Arm nehmen wollte, dann sollte sie sich einen anderen aussuchen, aber nicht mich, der ich froh war, gerade noch mit dem Leben davongekommen zu sein.
Sie spielte mir hier ein Theater vor, auf das ich nicht reinfiel. Wenigstens nicht mehr. Hart faßte ich das Handgelenk der Frau an.
»Lassen Sie mich!« zischte sie. »Sie – Sie tun mir weh!«
»Jetzt hören Sie mir einmal genau zu.« Ich ließ mich nicht aus dem Konzept bringen. »Ich bin aus dieser verdammten Aufbewahrungshalle gekommen, das stimmt. Aber die Leichen, die ich vorher noch gesehen habe, und an denen Sie mich vorbeiführten, waren auf einmal lebendig. Sie wollten mich sogar töten. Und so etwas habe ich nicht gern. Wenn Sie verstehen, was ich meine.«
»Nein, ich verstehe nichts.« Ihre Stimme klang hart wie brechendes Eis.
Ich holte tief Luft, um erneut meine Vorwürfe gegen sie zu formulieren, doch dann ließ ich es bleiben. Wir waren hier nicht in London. Auch ich als Polizist hatte hier kaum mehr Rechte als ein normaler Tourist. Weshalb also lange darum herumreden? Und sich höchstwahrscheinlich noch lächerlich machen?
Ich ließ das Gelenk der Frau los. Die Kunden schauten verwundert zu uns herüber. »Entschuldigung«, bat ich, als ich an ihnen vorbeischritt. »Aber es war nicht so gemeint.«
Das Ehepaar sagte nichts.
Wütend verließ ich den Laden.
Ich wandte mich nach rechts und suchte nach einem freien Taxi. Es kam tatsächlich eins. Bevor es ein anderer rufen konnte, stellte ich mich an den Straßenrand und winkte.
Der Chevy hielt.
Als ich die Beifahrertür öffnete, lispelte der Chinese: »Bitte in den Fond steigen.« Ich warf mich in die zerschlissenen Polster. Der Fahrer gab sofort Gas, ohne daß ich mein Ziel genannt hatte.
Mich darüber zu wundern, dazu kam ich nicht mehr. Ich hörte noch etwas Zischen, die Trennscheibe zwischen Vorder- und Rücksitz wurde vor meinen Augen zu einer breiigen Masse, und ich bekam auf einmal keine Luft mehr.
Eine Falle! schoß es durch meinen Kopf. Dann wußte ich nichts mehr.
***
Li-Shen besaß mehrere Wagen. Prunkstück seiner Sammlung war ein goldfarbener Rolls-Royce.
Und diese Luxuskarosse war in Hongkong bekannt wie ein bunter Hund. Wenn der Wagen lautlos durch die Straßen rollte, machten die meisten Fahrer freiwillig Platz. Niemand wollte den großen Li-Shen verärgern.
Er lenkte den Rolls nie selbst. Für diese Aufgabe hatte er einen Fahrer.
Der Mann hieß Kai-tak.
Er war ein Hüne.
Noch größer als Suko und noch breiter in den Schultern. Ein menschliches Denkmal mit einem Gesicht, das aus schwachgelbem Marmor zu bestehen schien. Kai-tak trug die Haare nicht normal geschnitten, sondern zu einem Zopf gebunden, der bei jeder Gehbewegung lustig hin- und herschwenkte.
Seine Uniform bestand aus strapazierfähiger Leinenkleidung, meist in dunkelblau. Sie ähnelte dem Mao-Look, aber Kai-tak wollte von dessen Lehren nichts wissen. Er hatte nur einen Boss. Das war Li-Shen. Für ihn wäre Kai-tak mitten in die Hölle gesprungen und hätte den Teufel beim Schwanz herausgezogen.
Allerdings besaß er ein Geheimnis. Niemand wußte, welche Waffe er unter seiner Kleidung versteckte. Und das sagte er auch nicht. Allerdings waren seine hornhäutigen Karatefäuste schon Waffen genug, wie manche behaupteten. Aber Kai-tak konnte nicht nur fahren. Er war auch sonst für das Wohl seines Chefs verantwortlich. Hin und wieder spielte er den Vorkoster, denn Li-Shen hatte mehr Todfeinde als Finger an beiden Händen.
Auch die Polizei hätte sich gern näher mit Kai-tak beschäftigt. Schließlich fand sie hin und wieder Tote in der Bay.
Es gab Zeitgenossen, die behaupteten, daß Kai-tak für diese Toten verantwortlich war.
Li-Shen empfand so etwas als böse Gerüchte und tat sie mit einem Handwinken ab. Jetzt stand Suko diesem Baum von Mann gegenüber.
»Ich möchte, daß ihr Freunde werdet«, sagte Li-Shen, der zwergenhaft wirkte neben den beiden Männern.
Kai-tak nickte und streckte seine rechte Hand aus. Suko wußte, was kam, er machte trotzdem mit und schlug ein.
Kai-tak
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