0052 - Der Teufelsring
Nacht der Entscheidung. Er oder ich – hieß die Devise.
Immer mehr Wolken bedeckten den Nachthimmel, verdunkelten den Glanz der Sterne. Wie ein weißes Schemen hob Genc Yedicule sich ab. Bewegung war in ihn gekommen. Zum ersten Male konnte Zamorra die Verwandlung bei ihm beobachten. Ein Würgen saß ihm in der Kehle. Von der Kajüte her ein unterdrückter Schrei. Nicole wurde ebenfalls Zeugin.
Yedicules Kopf schwoll an wie ein Luftballon, in den Gas gepumpt wird. Die Gesichtsfarbe veränderte sich. Sein Körper wurde durchscheinend und rötlich. Deutlich konnte man das Skelett erkennen.
Ein Fabelwesen entstand, ein Fabelwesen, dessen Herz man schlagen sah.
»Hinunter!«, brüllte Zamorra der Sekretärin zu, doch auch Nicole konnte ihren Blick nicht mehr von der Erscheinung lösen. Sie harrte aus. Sie hatte Zamorras Aufforderung nicht einmal bewusst wahr genommen.
»Unter Deck!«, schrie Zamorra nochmals, und diesmal hörte Nicole. Sie folgte dem Befehl. Zamorra und Genc Yedicule, das Wesen Ahrimans, waren allein.
Zamorra sah, wie das Geistwesen den Arm emporstreckte, wie an seinem Finger ein Leuchten begann. Fasziniert schaute er zu, wie aus der Haut die Fassung eines Ringes wuchs. Die Haut darüber platzte weg, wurde vom Sturm in Fetzen davongetragen. Dann strahlte der Ring mit dem Stein in seiner ganzen, todbringenden Schönheit…
Lichtfinger, bislang noch unkontrolliert, traten daraus hervor und zogen Scheinwerfern gleich in den Himmel. Doch bald waren die Strahlen gebündelt. Das Strahlenbündel tastete hinüber zu Zamorras Schiff. Dort, wo es auf das Wasser traf, begann die schäumende Gischt zu kochen.
Zamorra fühlte keine Angst in sich. Nur eiserne Entschlossenheit.
Seine Gedanken waren kühl, klar und präzise wie das Uhrwerk eines Chronometers.
Das Amulett fühlte sich plötzlich heißer an. Es schmerzte an der behaarten Brust.
Da hatte der grünliche Lichtfinger ihn erreicht. Schmerz raste durch alle Fasern seines Körpers. Zamorra hatte den Eindruck, er würde zerrissen. Automatisch sah er an sich hinunter. Es war ihm nichts geschehen.
Enttäuschung malte sich in dem zerfließenden Gesicht des gespenstischen Geistwesens. Der Widersacher hätte zu Stein werden und zerbröckeln müssen. Doch er stand da wie vorher.
Yedicule musste zu einer List greifen.
Der Strahlenfinger wanderte höher, und die ganze Bahn die er zog, wurde zu einer Spur der Zerstörung. Das Segel schlappte auseinander, ließ den Wind wirkungslos hindurchpfeifen.
Zamorra erkannte die neue Taktik innerhalb von Sekundenbruchteilen. Und er erkannte auch, dass er nichts dagegen unternehmen konnte.
Das Geistwesen wollte Stück für Stück sein Boot zerstören.
Der Kabinenkreuzer wendete nach Backbord. Vom zerstörten Segel abgesehen, standen die anderen voll, die Fallen und Schoten waren straff durchgesetzt. Zamorra schätzte die Entfernung zur Küste auf fünfzehn Meilen.
Das Boot lief durch den Wind, bis die verbliebenen Segel sich wieder füllten. Der Rhythmus der Dünung stockte etwas. Das Boot fiel hart in ein Wellental. Das geschah oft genug. Zwei Minuten ging es nach dem Aufsteigen glatter, dann wurde es wieder hochgehoben.
Der Bug hing ein oder zwei Sekunden in der Luft, dann klatschte er gegen die nächste heranrückende Welle. Ein Knall wie ein Kanonenschuss übertönte das Orgeln des Windes.
Der Strahlenfinger erreichte das Luvwant des Großmastes. Das Luvwant zerbrach, verschwand.
Alles ging unheimlich schnell. Das Drahtwant, das eben noch den Großmast gesichert hatte, peitschte wild durch die Luft.
»Wenden!«, schrie Zamorra sich selbst den Befehl zu. Das ausgefranste Drahtseilende peitschte scharf wie ein Messer an ihm vorbei.
Ich muss das Boot herumschmeißen! schoss es Zamorra durch den Kopf.
Der Bug des Kreuzers drehte sich quälend langsam durch den Wind. Noch eine Dünenwoge wie die letzte und der Mast brach wie ein Streichholz.
Dann gehorchte der Kabinenkreuzer wieder, das unbeschädigte Backbordwant wurde Luvwant, und die unmittelbare Gefahr einer Katastrophe war vorüber.
Zamorra schleuderte eine schwere Leine über das peitschende Want. Er hatte das andere Ende fest im Griff und zähmte das sich windende Drahtseil. Er verzurrte es am Mast. Das Boot war nur mehr halb manövrierfähig.
***
Die beiden Kabinenkreuzer entfernten sich voneinander. Zamorra konnte nichts dagegen tun. Doch jetzt wurde Yedicules Boot in seine Richtung gelenkt. Ahrimans Diener schien es darauf angelegt zu haben, ihn
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