0053 - Die Geisterhand
Gesichter. Sie waren dazu noch nebelhaft und verschwommen. Schließlich blieb nur noch Sukos Bild zurück.
Scaramanga wurde unruhig. »Etwas stört die Magie. Etwas, das ich auch schon bei der ersten Begegnung mit diesem Sinclair gespürt habe. Weißt du, was es ist?«
»Nein!«
Scaramanga glaubte ihr nicht. »Er muß ein Relikt der Weißen Magie bei sich tragen, wenn das Bild nicht klar durchkommt.« Scaramanga stieß einen Fluch aus. »Ich kann nicht sehen, wo sie sich im Augenblick befinden, und das macht mich wütend.«
Er murmelte eine Beschwörung, und die Bilder verschwanden. Seine Hand schaute wieder völlig normal aus.
»Welch einen Auftrag führen Sie durch?« wollte Jane Collins wissen.
Scaramanga schaute sie mit einem glühenden Blick an. Dann sagte er: »Ich fasziniere die Leute durch mein Spiel. Es ist so fantastisch, daß ich für alle, die mir zugehört haben, ein Idol bin. Sie würden alles für mich tun. Mein Spiel nimmt sie gefangen. Und sie tun alles für mich.« Scaramanga beugte sich vor und kicherte böse. »Sie gehen sogar für mich in den Tod.«
»Aber was hat ihr Tod für einen Sinn?«
»Sinn?« Seine Augen wurden so groß, daß Jane das Gefühl hatte, in dunkle Wagenräder zu schauen. »Ich kann dir sagen, was es für einen Sinn hat. Diese Frauen und Mädchen, die für mich in den Tod gegangen sind, haben mir eins gegeben. Ihr Vermögen. Und da die Seele eines Selbstmörders von den Kräften des Lichts nicht aufgenommen wird, bekommt der Teufel sie. Mit anderen Worten: Ich, Antonio Scaramanga, führe ihm Seelen zu. Und er sorgt dafür, daß ich mit irdischen Gütern entlohnt werde.«
»Das also ist es!« flüsterte Jane. »Aber warum haben Sie dann mich entführt. Ich besitze nichts, bin keine Millionärin, und ich erbe auch kein Vermögen.«
»Ich habe dich genommen, weil du mir gefährlich werden kannst«, erwiderte Scaramanga. »Du und deine Freunde sind meine Feinde. Denn sie sind die Gegner der Hölle!« Er hob beide Arme und klatschte seine Hände gegeneinander. »Nun, der Satan hat mir noch etwas mitgegeben. Die Gabe der Bilokation. Ich kann also an zwei Orten zur gleichen Zeit sein. Allerdings immer nur für wenige Minuten, weil sich der andere feinstoffliche Körper dann auflösen würde. Eine hübsche Beigabe, die meinen Feinden schon sehr viel Kopfzerbrechen bereitet hat. Aber wenn ich dich so vor mir sitzen sehe, kommt mir ein Gedanke, den ich eigentlich in die Tat umsetzen sollte. Ich werde für dich allein etwas spielen. Denn du sollst ebenfalls in den Genuß meiner Musik kommen. Du sollst wie die anderen berauscht sein, damit du für mich, deinen Herrn und Meister, alles tust.«
»Wie dieser Werwolf, nicht wahr?«
»Genau. Durch Yüroschs Dummheit hat leider alles seinen Anfang genommen. Aber ich werde den Fehler ausbügeln.«
»Wo steckt er denn?« fragte Jane. Ihre Stimme klang noch sehr sicher. Sie war überzeugt davon, daß sie dem Spiel widerstehen konnte, daß es diesem Mann nicht gelang, sie mit seinem Spiel zu verhexen.
»Er wird im Laufe der Nacht hier eintreffen.« Scaramanga erhob sich. »Aber dann wirst du ihn nicht als Feind, sondern als Freund begrüßen.«
»Ich glaube kaum, daß es soweit kommen wird. Meine Freunde sind nicht faul. Sie geben nicht auf. Sie werden mich retten.«
»Woher sollen Sie wissen, wo du dich aufhältst?«
Jane gab keine Antwort auf Scaramangas Frage.
»Schade nur, daß ich nicht sehen konnte, was sie jetzt machen. Es hätte mir bestimmt Freude bereitet, sie in ihrer Angst um dich erleben zu dürfen.«
Er ging ein paar Schritte nach vorn und zog einen Vorhang zur Seite.
Dahinter stand ein Klavier.
Behutsam, als hätte er Angst, etwas zu zerstören, klappte Scaramanga den Deckel hoch.
Dann holte er sich den Hocker heran, nahm darauf Platz und begann zu spielen.
Es war die Melodie des Teufels…
***
»Verschlossen!« stellte Suko trocken fest, als wir vor der Tür des Theaters standen.
Ich nickte und ließ meine Blicke an der Fassade emporwandern. Viel gab es da nicht zu sehen. Das Llewellyn-Stone-Theater war kein besonders großer Bau. Eingekeilt zwischen zwei abbruchreife Häuser fristete der ehemalige Musentempel ein recht bescheidenes Dasein. Normalerweise wäre es für den begnadeten Künstler Antonio Scaramanga unter seiner Würde, in solch einem Schuppen aufzutreten. Aber für dunkle Zwecke war dieses im finsteren Soho liegende Theater bestens geeignet.
Das wußte auch Scaramanga.
Die große Eingangstür
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