0054 - Wir und der Hellseher
ging zur Tür und lauschte mit vorgestrecktem Kopf. Dann machte er sich daran, den Tisch vor die Tür zu ziehen.
»Bitte, helfen Sie mir, Madam«, beschwor er Irene Cresbyl, die teilnahmslos vor sich hinstarrte. »Haben Sie nicht gehört? Irgendein Gegner dieser Männer befindet sich draußen, vielleicht sogar die Polizei. Wir müssen versuchen, uns so lange zu schützen, bis diese Verbrecher überwältigt worden sind.«
Die Frau verstand. Sie half Hamilton, auch die Pritsche vor die Tür zu drücken. Hamilton stützte sachkundig die Klinke mit einer Stuhllehne ab, dass sie sich nicht niederdrücken ließ.
Als sie den letzten beweglichen Gegenstand vor die Tür geschoben hatten, hockten sie sich auf die Erde.
»Gegebenenfalls müssen wir uns selbst noch dagegenstemmen«, erklärte der Alte.
Sie lauschten. Sie warteten auf ein Geräusch, das ihre Rettung bedeuten konnte, und doch zuckten sie beide zusammen, als der erste Schuss durch die Nacht peitschte.
***
Ich schob mich an den schräg hängenden Torflügeln vorbei.
Die Anlage war weitläufig. Ich hatte keine Ahnung, wohin ich mich wenden sollte, aber ich wagte auch nicht, jetzt schon die Taschenlampe zu benutzen.
Ich machte mich auf den Weg, den Fabrikhof zu überqueren. Einmal blieb ich stehen, weil ich ein Geräusch zu hören glaubte, aber als ich lauschte, hörte ich nichts.
Ich tat noch zehn oder zwanzig Schritte in Richtung auf die Halle zu.
Sehr scharf empfand ich das Drohende, das über diesem verlassenen Fabrikhof lag, und ich wusste aus Erfahrung, dass solche Gefühle eine Warnung des Instinktes bedeuten.
Mehr als ich sie sah, spürte ich die Bewegung eines oder mehrerer Männer. Gleich darauf rief eine,Stimme: »Ist dort jemand?«
Ich raste in Riesensprüngen quer über den Hof in Richtung auf das Krangerüst, das einigermaßen Deckung bieten musste. Ein Taschenscheinwerfer flammte auf, versuchte mich zu finden, aber ich gelangte in die Deckung, bevor das Licht mich erfasste. Und jetzt erst antwortete ich: »Hier ist der FBI-Agent Cotton. Ich fordere euch auf, herauszukommen und euch einem Verhör zu stellen.«
Der Handscheinwerfer erlosch. Dann rief eine Stimme: »Thick! Besorg’s ihm!«
Ich duckte mich tiefer. Was bedeutete dieser Ruf? War dieser Thick mir so nahe, dass er an mich heran konnte? Befand er sich in meinem Rücken?
Ich drehte mich um. Ragte dort der Schatten eines Mannes gegen den Himmel? Kam er näher? Bewegte er sich?
Ich hob die Smith & Wesson und gleichzeitig redete ich meinen Nerven gut zu. Ich hatte keine Lust, auf irgendetwas zu schießen, das wie ein Mann aussah und vielleicht nur ein Steinhaufen war oder ein Stapel schiefer Kisten.
Ich erhielt Gewissheit, als es auf blitzte. Etwas wie ein glühendes Streichholz zischte an meinem linken Oberarm vorbei.
Ich hatte mich gut genug im Zaum, um nicht gleich zurückzuschießen. Ich warf mich nach rechts und nach vorn.
Im gleichen Augenblick blitzte der Handscheinwerfer am Eingang der Halle wieder auf, und richtete seinen Schein auf das Krangerüst.
Ich begriff sofort. Jetzt musste der Mann mich sehen wie den Schattenriss auf einer Zielscheibe.
Schon blitzte es. Ich hatte keine Wahl mehr. Ich zog durch. Seine Kugel klirrte ganz nahe bei mir gegen den Stahl des Gerüstes und zwitscherte dann als Querschläger über den Hof; aber meine Kugel traf ihn. Ich sah den Schatten gegen den Nachthimmel schwanken, hörte ein Stöhnen, dann das Fallen eines Körpers, und der Schatten war verschwunden.
Von der Halle her wurde gerufen: »Hast du ihn, Thick?«
Statt einer Antwort jagte ich eine Kugel in Richtung auf den Scheinwerfer und eine zweite rechts davon. Der Scheinwerfer zerklirrte, als ich ihn traf, aber sonst schien ich nichts getroffen zu haben.
Jetzt begannen sie von der Halle her, auf mich zu schießen. Ich ließ es über mich ergehen. Das Stahlgerüst bot einen fast vollkommenen Schutz, wenn nicht eine Kugel den Weg unglücklich zwischen den Gittern fand.
Ich lauschte auf den Klang der Pistolen. Ich konnte nur zwei Waffen unterscheiden, und ich schloss daraus, dass ich es nur mit zwei Burschen zu tun hatte.
Sie gaben nach drei oder vier Schüssen aus jeder Waffe das sinnlose Geknalle wieder auf.
»Nehmt die Pfoten hoch und kommt heraus!«, rief ich.
Ein Fluch und noch einmal eine Kugel antworteten mir.
Na schön, wenn sie nicht wollten, so würde ich sie mir holen. Meine Augen hatten sich inzwischen gut an die Dunkelheit gewöhnt. Auf halbem Wege zur Halle stand
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