Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
0055 - Die Nacht der gelben Kutten

0055 - Die Nacht der gelben Kutten

Titel: 0055 - Die Nacht der gelben Kutten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Saupe
Vom Netzwerk:
Shandri«, sagte er bescheiden.
    »Gut, Shandri. Es ist doch noch ganz hell, nicht wahr?«
    Der Führer sah zum Himmel hinauf. »Zwölf Minuten«, sagte er.
    Zamorra zeigte auf eine kleine Felsnase, die sich am unteren Drittel des Berges wie ein steiniger Vorhang aus dem Gestein hob.
    »Können wir wenigstens noch bis dorthin gehen?« fragte der Professor.
    »Sechs Minuten«, sagte der Führer Shandri.
    »Also los!« meinte Zamorra und wartete gar nicht darauf, daß der Tamile ihm voranging. Er war zu tatendurstig, er mußte mehr über die Gegend wissen. Er mußte alles erkunden und die geheimsten Verbindungswege auskundschaften.
    Er sollte bald staunen.
    Sie stiegen bergan. Der Weg war nicht sonderlich beschwerlich.
    Nach sechs Minuten war der kleine Felsvorsprung erreicht.
    Sprachlos vor Bewunderung sahen Zamorra und Nicole auf das Schauspiel, das sich ihnen bot.
    Sie sahen zum erstenmal in ihrem Leben, wie die Sonne wirklich versank!
    Sie senkte sich nicht langsam dem Horizont entgegen. Sie schien auf einer unsichtbaren Laufschiene herunterzurutschen oder schrittweise zu purzeln. Man konnte sehen, wie sie unaufhörlich Zentimeter um Zentimeter den Felsen im Hintergrund näherkam.
    Und diese Sonne war ein glühender roter Ball von der doppelten Größe der heimatlichen Sonne in Paris oder Marseille oder in der Provence!
    »Unglaublich!« sagte Nicole Duval ergriffen.
    »Ja, es ist faszinierend«, gab Zamorra zu.
    »Kommen Sie, Sir«, drängte der Führer Shandri. »Hier wird alles gleich so dunkel sein wie in einer tiefen Höhle.«
    Es war unvorstellbar für Zamorra und Nicole, aber Shandri hatte recht. Der Professor sah noch einmal auf die Sonne. Der untere Rand des mächtigen Ballons aus Feuer und Gas berührte soeben die Felsspitze am Horizont. Und nur Sekunden später war der halbe glutrote Ball schon hinabgetaucht. Noch zehn Sekunden, noch zwanzig Sekunden, und die Sonne war verschwunden.
    Es gab keine Dämmerung. Noch eben war es taghell gewesen, und schon hatte sie die drohende Nacht eingekreist.
    Felsen und Regenwand waren in ein undurchdringliches tiefes Schwarz getaucht.
    »Was nun?« fragte Nicole ein wenig verängstigt.
    »Bitte stehenbleiben, Miß«, sagte Shandri schnell. »Bitte keinen Schritt, keine Bewegung. Sie würden abstürzen.«
    »Und wie kommen wir jetzt wieder hinunter?« fragte Zamorra.
    »Bitte zehn Sekunden, Sir«, sagte Shandri. »Ich werde uns Fackeln machen.«
    Nicole sah zu ihrem Erstaunen, daß der Diener an alles gedacht hatte. Schon beim Aufstieg war es ihr sonderlich vorgekommen, daß er sich bückte und dicke Holzknüppel abbrach oder vom Boden auflas. Nun wußte sie, wie vorsorglich Shandri an das gedacht hatte, was auf sie zukommen würde.
    Er war ein treuer Diener, der zum Gehorsam verpflichtet war. Er hatte die Bitte des Professors nicht abschlagen wollen. Aber er wußte, was sie hier in der plötzlich einfallenden Nacht erwarten würde.
    Shandri stand keinen Meter vor Nicole. Trotzdem konnte sie nur mehr ahnen als sehen, was er machte. Sie erkannte ganz schwach, daß er eine Dose aus der Tasche seines Sarongs holte. Er öffnete die runde Schachtel und schmierte etwas Dunkles, Glänzendes auf die Enden der Hölzer.
    Dann reichte er Nicole und Zamorra je eine der schnell präparierten Fackeln. Sekunden später hatte er sie mit seinem Feuerzeug zum Brennen gebracht. Gespenstisch standen die drei auflodernden Flammen im Dunkel der Nacht und der Berge.
    Zamorra wollte gerade fragen, ob er vorangehen solle, als alle drei erstarrten. Keinem von ihnen war das leise Wimmern entgangen, das aus der Höhe des Berghanges zu ihnen drang.
    Und dann durchschnitt ein langgezogener Schrei von Furcht und Todesangst die Stille des unheimlichen Waldes vor ihnen!
    »Wir müssen hin!« rief Zamorra sofort.
    Aber Shandri hinderte ihn daran, loszulaufen, indem er ihn kurzerhand am Ärmel zurückhielt.
    »Es geht nicht, Sir!« sagte er leise, aber eindringlich.
    »Ist es zu gefährlich? Aber das klang als ob ein Mensch in Gefahr ist!«
    »Shandri weiß das«, sagte der Tamile. »Aber Shandri weiß auch, daß wir alle tot sind, wenn wir in den Höllenrachen des Waldes gehen. Wir werden in die Tiefe stürzen. Sie müssen es glauben, Sir. Wir können morgen heraufgehen, ganz früh. Vielleicht finden wir Spuren. Jetzt, in der Nacht, es ist, als ob sie freiwillig in den Tod springen.«
    Zamorra mußte das zugeben. Zu unwegsam, zu steil wurde das Gelände an den Berghängen. Und wer konnte wissen, ob der

Weitere Kostenlose Bücher