0055 - Todeszone London
Maggie.
»Aber Sie müssen etwas zu sich nehmen. Sie verlieren sonst zuviel Kraft. Wer weiß, was noch alles auf uns zukommt.«
»Wenn Sie meinen…«
Nicole Duval hatte Schokolade entdeckt. Sie nahm einen Riegel, löste das Papier zur Hälfte und gab die Süßigkeit dem Baby.
Die kleine Karen begann heißhungrig zu lecken. Ihr schmeckte die Schokolade.
Nicole Duval aß auch. Sie nahm sich ein Schinken-Sandwich. Es war zudem noch mit Gurken belegt und schmeckte ausgezeichnet. Dazu trank sie Limonade aus einem Pappbecher.
Viele Menschen jedoch aßen nichts. Es war verständlich, daß sie keinen Appetit hatten, und so blieben die Platten halbgefüllt stehen.
Die junge Französin spülte die letzten Reste des Brots mit der Limonade hinunter und hatte plötzlich den Wunsch, eine Zigarette zu rauchen.
Ein Ober gab ihr ein Stäbchen.
Vielleicht die letzte Zigarette deines Lebens, dachte Nicole, als sie den blaugrauen Rauch ausblies. Die Tabakwolken wurden sofort in Richtung Luftschacht gezogen, wo sie rasch zerfaserten und verschwanden.
Da der Strom ausgefallen war, hatte auch die Klimaanlage ihren Geist aufgegeben.
Nicole schaute dem Rauch nach, und plötzlich verspürte sie ein unangenehmes Ziehen in der Magengegend.
Ihr war etwas eingefallen.
Etwas Fürchterliches…
Wenn die Stahltüren auch erst einmal den Pflanzen trotzen konnten, durch die Luftschachtöffnung würden sie doch in den Keller gelangen. Außerdem gab es in den einzelnen Etagen jeweils zu dem Luftschacht eine direkte Verbindung. Für Nicole Duval war es nur eine Frage der Zeit, wann die Pflanzen diesen Weg entdeckt hatten.
Sie behielt die Idee jedoch für sich.
Nicole ließ sich auch nichts anmerken, als sie Maggie fragte, ob es geschmeckt habe.
»Gut – ja…«
Zamorras Sekretärin drückte ihre Zigarette aus. Da spürte sie wieder das Jucken auf ihrer Schulter. Genau dort, wo sie die Pflanze abgerissen hatte.
Ob sie nachwuchs?
Sie fuhr mit ihrer Hand unter den Pullover und tastete dorthin. In der Tat war der Stiel gewachsen.
Etwa eine Daumennagelbreite stand er vor, und er hatte an seiner Spitze sogar wieder ein winziges Blatt gebildet. Nicole bekam es mit der Angst zu tun.
Sie trug den Keim des Bösen in sich, und niemand konnte ihr helfen. Zamorra war weit. Vielleicht hätte er mit seinem magischen Amulett helfen können, doch verlorengegangenen Möglichkeiten nachzutrauern hatte nicht viel Sinn.
Sie mußte durchhalten.
Egal wie…
Von dem Mann, der vorhin hinausgelaufen war, hatten sie nichts mehr gehört. Alle wußten, welches Schicksal ihn ereilt hatte, doch niemand sprach darüber.
Nicole brach den nachgewachsenen Stiel ab und zerdrückte ihn mit dem Handballen auf dem Boden.
Langsam hatten sich die Eingeschlossenen an ihr Schicksal gewöhnt. Apathie überfiel die meisten Menschen. Sie dösten vor sich hin. Kaum jemand sprach ein Wort.
Auch Maggie Prince war ruhig geworden. Sie wiegte ihr Baby und summte hin und wieder ein Schlaflied. Nicole glaubte zu wissen, daß sie dies eine große Überwindung kostete.
Immer wieder flog ihr Blick hoch zur Schachtöffnung. Sie wußte nicht zu sagen, wie oft sie schon dorthin geschaute hatte, als sie die Bewegung an der Öffnung wahrnahm. Etwas schob sich daraus hervor.
Nicole Duval schaute genauer hin und erkannte eine armdicke, hellgrüne Liane…
***
Die verdammten Pflanzen hatten eine immense Kraft, wenn es ihnen schon gelang, den Bentley hochzuhieven. Denn der Wagen war wirklich kein Leichtgewicht.
»Fahr zu!« sagte Suko. Er beugte sich im Sicherheitsgurt nach vorn und starrte durch die breite Frontscheibe.
Ich startete. Zum Glück kam der Motor sofort, kaum daß er den Zündschlüssel gerochen hatte.
Rückwärtsgang.
Der Bentley packte es, rollte nach hinten.
Dann war Schluß.
Plötzlich hatten wir das Gefühl, der Wagen wäre gegen eine Gummiwand gefahren. Wir kamen nicht weiter.
Zamorra hatte sich gedreht. »Sie sind hinter uns!« erklärte er. »Die verdammten Pflanzen haben den Weg versperrt. Sie müssen irgendwie gemerkt haben, daß wir ihnen an den Kragen wollen. Das ist kein Zufall!«
»Nein«, knirschte ich, »ganz bestimmt nicht.« Ich hebelte den ersten Gang ins Getriebe.
Gas! Zweiter Gang.
Der Wagen gewann an Geschwindigkeit. Scheinwerfer an. Im ersten Augenblick erschrak ich.
Vor uns auf dem Weg wimmelte, quirlte und bewegte es sich. Die grüne Masse war überall. Allerdings nicht so hoch wie hinter uns. Der Wagen würde es vielleicht schaffen.
Weitere Kostenlose Bücher