006 - Der Teufelskreis
sie zu erhören, denn sie fiel rückwärts auf die Bühne, und ihr Körper begann ekstatisch und im Rhythmus der gespenstischen Sphärenklänge zu zucken. Sie simulierte sogar den Höhepunkt – und das gekonnt, wie Dorian zugeben mußte. Aber das Ganze war eben nichts anderes als eine perfekt vorgetragene Show. Der Teufel war die ganze Zeit über unsichtbar geblieben.
Die Zeit verging. Dorian hielt sich schon über eineinhalb Stunden in dem Lokal auf, ohne daß jemand mit ihm in Kontakt getreten wäre. Auf der Bühne exerzierte ein Schwarzer mit leuchtenden Stigmata im Gesicht vor, was man anstellen mußte, um von Satan Potenz geschenkt zu bekommen. Er biß drei lebenden Mäusen die Köpfe ab, zerkaute diese im Mund, daß die Knochen krachten, spie das ganze in einen Kessel, rührte kräftig darin herum, mengte einige Zutaten bei, schleuderte den Brei gegen die Wand und rieb dann den Körper daran.
Es war einfach widerlich. Zumindest in dieser Beziehung standen die Darbietungen im Vanilla den Geschehnissen bei den echten Hexensabbaten um nichts nach; sie waren ebenso widerwärtig, ekelerregend und abstoßend.
Dorian verlor langsam die Geduld. Er hatte bereits fünf Whisky intus und war zum Kettenraucher geworden. Lange ertrug er die Atmosphäre einfach nicht mehr.
Plötzlich stutzte er. Neben ihm saß das Mädchen, das er letzte Nacht in der Bar jenes Hotels kennengelernt hatte, aus dem er Hals über Kopf hatte flüchten müssen, weil die Freaks ihn dort aufgestöbert hatten.
»Wie war die Nacht im Asyl, Mac?« fragte sie anzüglich.
»Hat sich der Besuch bei Barney gelohnt?« fragte er zurück.
Sie hob die Schultern. »Ich hatte keine Lust, allein hinzugehen. Stattdessen bin ich heimgegangen und habe von dir geträumt. Und in einem dieser Träume hat mir der Teufel zugeflüstert, daß du heute im Vanilla zu treffen sein würdest.«
»Dann ist es also kein Zufall, daß wir uns hier gefunden haben«, stellte Dorian fest.
Sie lächelte ihn nur an. Er fand, daß sie heute viel reizvoller aussah, als er sie in Erinnerung hatte. Sie besaß eine ausgezeichnete Figur und ein Gesicht, das nicht gerade schön zu nennen, aber ungemein anziehend war. Wahrscheinlich gehörte sie zu jenem Frauentyp, der unter Alkoholeinfluß um Jahrzehnte alterte.
»Was tust du hier, Mac?«
»Ich warte.«
»Auf mich?«
»Das wäre sogar möglich«, sagte Dorian.
Wenn er es sich recht überlegte, so erschien es ihm sogar wahrscheinlich, daß er ihre Bekanntschaft nicht zufällig gemacht hatte. Aber daß sie die Kontaktperson war, die ihm Tim schicken wollte, bezweifelte er. Er entschloß sich, sich darüber Gewißheit zu verschaffen.
»Wie geht es Tim?« fragte er geradeheraus.
Sie hob fragend die Brauen. »Tim aus Barney's Sado-Maso-Show oder Tim aus dem Eden oder Tim …«
Dorian unterbrach sie mit einer Handbewegung. »Schon gut. Ich sehe, daß du den Tim, den ich meine, nicht kennst.«
»Vielleicht doch«, sagte sie und zwinkerte kokett. »Wie heißt er mit Nachnamen?«
Es war an und für sich eine harmlose Frage, doch unter diesen besonderen Umständen konnte sie von weittragender Bedeutung sein. Was, wenn dieses Mädchen ein Werkzeug der Dämonen war, das man geschickt hatte, um ihn auszuhorchen?
»Ich weiß noch nicht einmal deinen Namen«, wich Dorian aus.
»Lilli«, sagte sie. »Einfach Lilli.«
Dorian mußte unwillkürlich an seine Frau Lilian denken, die durch das Wirken der Dämonen den Verstand verloren hatte und nun dazu verdammt war, in einem Londoner Sanatorium auf Heilung zu warten.
»Und wie soll ich dich nennen? Mac gefällt mir nicht besonders.«
»Dorian.«
»Ein seltener Name. Und ein zu langer Name. Wie gefällt es dir, wenn ich Rian zu dir sage?«
Dorian wirbelte zu ihr herum und packte sie am Handgelenk. Sie gab einen spitzen Schrei von sich, und ihre Augen weiteten sich erschrocken, als sie in sein Gesicht blickte. Konnte es Zufall sein, daß dieses Mädchen, das denselben Namen hatte wie seine Frau, auch dieselbe Koseform seines Namens gebrauchte? Auch Lilian hatte ihn früher Rian genannt.
»Was ist mit dir?« fragte das Mädchen erschrocken.
Dorian entspannte sich. Er durfte sich nicht so gehenlassen. Vielleicht war ihm das Mädchen wirklich nur zufällig über den Weg gelaufen. Möglicherweise war sie sogar von Tim geschickt worden. Und selbst wenn sie ein Werkzeug der Dämonen war, durfte sich Dorian nichts anmerken lassen.
»Entschuldige!« sagte er. »Ich bin nur ein wenig
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