006 - Ende eines Quellherren
einzigen Schutz vor einem stockwerketiefen Abgrund bildete. In glücklicheren Tagen hatte er das große Fenster in die Mauer brechen lassen, um den Blick über die Höhlenstadt genießen zu können.
Mit einem Ruck warf er sich dagegen, riss das schwache Netzwerk aus seiner Verankerung, erklomm den Sims und schwang sich in die Tiefe, dorthin, wo auf den Bodenterrassen die Männer und Frauen ihr ausgelassenes Fest feierten.
Tremish trat zum Fenster und lächelte wieder. »Weit wird er in der Stadt nicht kommen. Die halbe Bevölkerung ist noch auf den Beinen. Und wenn er es doch schaffen sollte, Shabran mit einem Halbschlepper zu verlassen, wird ihn ein Schaufler vernichten.«
»Du glaubst, er lebt noch?«, fragte Sahotin verwundert, während sich Glaukol mit einem asthmatischen Pfeifen über den Abgrund beugte.
»Natürlich hat er überlebt.« Tremish deutete auf Zeta. »Sieht so eine Frau aus, deren Mann sich gerade vor ihren Augen das Leben genommen hat?«
Alle Blicke wandten sich Zeta zu, die unter Tremishs Worten noch einen Schritt zurückgewichen war.
»Soll ich vor aller Augen in Tränen ausbrechen?«, erwiderte die ehemalige Clansträgerin. »Habt ihr das wirklich von mir erwartet?«
Glaukol wandte sich wieder zum Fenster. »Wie soll jemand solch einen Sturz überlebt haben?«
»Hast du einen Aufschlag gehört? Oder das Schreien und Rufen aufgeschreckter Shabraner unten auf der Bodenterrasse? Er wäre ihnen doch direkt vor die Füße gefallen.« Tremish wandte sich wieder der ehemaligen Clansträgerin zu. »Außerdem hat er noch einige Freunde. Sie haben ihm geholfen, als er beim Eindringen in die Stadt gefangen genommen wurde. Und sie werden ihm auch jetzt geholfen haben.«
»Von mir bekam er keine Hilfe«, verwarf Zeta den unausgesprochenen Vorwurf. »Ich weiß, was die Quellherren von mir erwarten.«
»Ich hoffe es für dich«, lächelte Sahotin. »Obwohl sich in letzter Zeit viel zu viele Shabraner trotz aller gegenteiligen Beteuerungen gegen den Kodex auflehnen. Du jedoch gehörst sicher nicht zu jenen Aufwieglern. Es käme dich auch teuer zu stehen.«
*
Wie Ken vorausgesagt hatte, war Tanya Genada die nächste der sechs Ohnmächtigen, die das Bewusstsein zurückerlangte. Zuerst entwand sich ihrem Mund ein leises Stöhnen; dann tastete sie mit den Händen über die kühle Gitterstruktur des Pyramidenbodens, bis sie sich zu erinnern schien, was mit ihr geschehen war und sich ruckartig aufsetzte.
Aus ihren großen, dunklen Augen blickte sie Ken fragend an.
Achselzuckend kniete Ken neben ihr nieder und setzte sie kurz über das in Kenntnis, was er bislang herausgefunden hatte.
Es war nicht viel. Sie waren gefangen und die Kerkermeister schienen sie einfach vergessen zu haben.
Tanya nickte. Anscheinend hatte ihr Körper nicht so sehr unter den Nachwirkungen des Schocker-Beschusses zu leiden; vielleicht gewann sie auch nur schneller wieder die Kontrolle über Körper und Geist zurück, weil sie länger bewusstlos gewesen war.
»Und was nun?«, fragte sie, nachdem Ken seinen Bericht abgeschlossen hatte.
Wie zur Antwort öffnete sich mit leisem Surren das Gitter.
»Schnell!«, rief Ken. »Schaffen wir unsere Gefährten hinaus! Wer weiß, wann das Gitter sich wieder schließt!«
Nacheinander schleiften sie die fünf Bewusstlosen an ihren Monturen aus dem Transmitter-Käfig. Keiner von ihnen reagierte auf die unsanfte Beförderung; es würde tatsächlich noch eine Weile dauern, bis sie aus der Schocknarkose erwachten.
Atemlos blickte Ken sich um. Die Transmitter-Pyramide befand sich in einer ebenfalls dreieckigen Kuppel von geradezu titanischen Ausmaßen. Ken schätzte, dass sie an der höchsten Stelle an die achtzig Meter maß. Die genaue Höhe war jedoch nur schwer abzuschätzen, da die gesamte Kuppel bis auf einige Türöffnungen keinerlei Einrichtungen aufwies und sich somit keine Vergleichsmöglichkeit bot.
Die besagten Türöffnungen waren zur Zeit natürlich verschlossen.
»Wo sind wir hier?«, fragte Tanya. Ken hob die Schultern. »Es hieß, wir sollten auf eine Welt gebracht werden, wo man eine Entscheidung über unser Schicksal treffen wird. Bei dieser Welt …«, überlegte er, »… muss es sich um einen Planeten handeln, auf dem die Erbauer des Transmitter-Systems zu finden sind.«
»Oder irgendwelche Hilfskräfte, die im Bedarfsfall für sie tätig werden«, warf Tanya ein.
»Oder das … Wir wissen ganz einfach zu wenig. Mich stört nur, dass man sich seit unserer
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