006 - In der weißen Hölle
einen gleichmäßigen Schimmer verbreitete.
Doch woher kam es? Es konnte sich nicht um kein elektrisch betriebenes Licht handeln. Vielleicht phosphoreszierende Partikel im Wasser…?
Sam trat auf den See zu, verharrte an seinem Ufer. Sie steckte die Fackel in eine dafür vorgesehene Halterung im Fels und machte eine tiefe Verbeugung.
»Was hat das zu bedeuten?«, fragte Matt.
»Es ist unsere Art, unsere Ehrfurcht vor der Quelle auszudrücken. Sie ist ein Geschenk von Wudan persönlich.«
»So?« Matt bezweifelte, dass es ein Gott gewesen war, der die Quelle hatte entspringen lassen. Er erinnerte sich an die Geysire und Quellen, die er vor langer Zeit im Yellowstone-Park gesehen hatte. Die Indianer hatten sie ihrer Zeit als heilige Orte verehrt - offenbar waren die Narka dem gleichen Irrtum erlegen, bestätigt noch von dem grünlichen Schimmer.
»Das also ist euer großes Geheimnis?«, meinte Matt ein wenig enttäuscht. »Eine leuchtende heiße Quelle?«
»Sie ist der Schatz unseres Volkes«, bestätigte Sam ernst. »Ihretwegen trachtet Alcam danach, uns zu vernichten.«
Matt seufzte, schüttelte den Kopf. Viele hundert Jahre mochten seit seiner Zeit vergangen sein - und immer noch schlugen sich die Menschen aus denselben dummen Gründen die Köpfe ein.
»Warum überlasst ihr die Quelle ihm nicht einfach?«, fragte Matt seufzend. »Ihr könntet euer Dorf woanders errichten und hättet Ruhe.«
»Weil wir nicht dürfen«, antwortete Sam.
»Verstehe.« Matt nickte. »Wudan gab euch den Auftrag, die Quelle zu beschützen. Deshalb bleibt ihr hier.«
»Genau so ist es«, bestätigte Sam, ohne den beißenden Sarkasmus in Matts Worten zu bemerken. »Die Kräfte der Quelle dürfen niemals in fremde Hände fallen. Tod und Verderben wären die Folge.«
»Die Kräfte der Quelle?« Matt horchte auf.
»Das ist das wahre Geheimnis der Narka«, gab Sam rätselhaft zurück. Dann griff sie an den Gürtel, zog ihr Messer - und noch ehe Matt etwas dagegen unternehmen konnte, schlitzte sie sich damit den Unterarm auf. Roter Lebenssaft trat hervor und besudelte den Boden, der, wie Matt jetzt sah, unzählige dunkle Flecken auf wies. Blut…
»O mein Gott!« rief er entsetzt aus. »Was hast du getan?«
»Ich… offenbare dir… unser Geheimnis«, presste Sam unter Schmerzen hervor.
Sie steckte das Messer weg, ließ sich auf die Knie nieder und beugte sich über das plätschernde Wasser. Dann tauchte sie ihren verletzten Arm bis zum Ellbogen hinein. Es zischte, das Wasser begann noch stärker zu brodeln. Fassungslos starrte Matt auf die junge Frau, deren schmerzverzerrte Miene sich allmählich entspannte. Schließlich erhob sich Sam und trat auf ihn zu, streckte ihm ihren Arm entgegen.
»Aber das… das ist doch nicht möglich…«, entfuhr es Matt.
Er packte Sams Arm, nahm ihn genau in Augenschein - doch von der tiefen Wunde, die noch vor Augenblicken dort geklafft hatte, war nichts mehr zu sehen. Die Wunde war in Sekundenschnelle verheilt!
»Wudans göttliche Kraft ist in diesem Wasser«, eröffnete Sam und konnte sich eines triumphierenden Lächelns nicht enthalten, das ihre hübschen Züge umspielte. »Deshalb ehren wir es wie Wudan selbst.«
»Eine Quelle, die über Heilkräfte verfügt«, staunte Matt.
»Seit unzähligen Generationen befindet sie sich im Besitz meines Volkes«, erklärte Sam.
»Es heißt, unser Stammesvater hat sie einst von Wudan empfangen, der die Gabe zu heilen in einem brennenden Felsen vom Himmel schickte.«
»Ein brennender Felsen?«
Der Komet! War er für dieses grüne Leuchten verantwortlich? Irgendetwas musste in diesem Wasser sein! Vielleicht phosphoreszierende Mikroorganismen, die mit dem Kometen in diesen Quellsee gelangt waren und die die Reproduktionsfähigkeit des menschlichen Körpers um ein Vielfaches erhöhten? Es drängte Matt danach, das Rätsel zu ergründen, aber ohne die Hilfe eines gut ausgerüsteten Chemikers oder Biologen würde er hier keinen Blumentopf gewinnen.
»Jetzt kennst du unser Geheimnis«, schloss Sam, »und jetzt weißt du auch, weshalb Alcam uns vernichten will.«
»Er kennt die Quelle also auch?«
»Vor vielen Jahren fanden unsere Jäger einen jungen Mann draußen in der Eiswüste. Er hatte sich verirrt, war halb erfroren und verhungert. Sie brachten ihn ins Dorf und retteten sein Leben, indem sie ihn in die Quelle legten. Doch er dankte es ihnen schlecht. Er floh und schwor sich, eines Tages zurückzukehren und die Quelle in seinen Besitz zu
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