0060 - Ich saß im Todesblock
hatte aber von Bullen Jack eine einigermaßen zutreffende Beschreibung gehört, sodass ich ihm nach einer kurzen Musterung beider erkennen konnte. Ich trat zu ihm hin und tippte mit dem Zeigefinger auf die Nummer, die an meiner Sträflingsjacke etwa in Herzgegend aufgenäht war. Marecci notierte sie, ohne mich eines Blickes zu würdigen.
»Ich habe gehört«, sagte ich zu Marecci, »dass heute ein Western gespielt werden soll. Stimmt das, Chef?«
Marecci blickte auf. Einen Augenblick lang war es mir so, als streife ein Blick des Einverständnisses mein Gesicht, dann aber hatte er seinen Kopf bereits wieder gesenkt und knurrte: »Wer hat dir denn diesen Blödsinn eingeredet? Im Zuchthaus ’nen Wildwestfilm! Hat man so etwas schon gehört?«
»Bullen Jack hat es aber gesagt!«, beharrte ich.
»Na und? Ist Bullen Jack vielleicht der Vorsitzende der Filmkommission, die unsere Schmachtfetzen auszusuchen hat?«
»Nein, ich glaube nicht. Hat es denn überhaupt schon einmal einen Western hier gegeben?«
»Doch, ja.«
»Wie viel denn schon?«
»Drei Stück.«
Ob die beiden Wärter, die dicht neben uns standen und unser Gespräch bestimmt verstehen konnten, wohl ahnten, dass wir in Wirklichkeit von drei Dosen Zyankali sprachen? Es war nicht anzunehmen, sonst hätten sie sicher nicht gestattet, dass ich mich in die hinterste Reihe setzte, damit Marecci sofort nach Beginn der Vorstellung leicht zu mir finden konnte.
Es gab eine Wochenschau, deren Alter ich auf ungefähr ein halbes Jahr schätzte, einen Zeichentrickfilm mit schön belehrender Tendenz und dann endlich den Hauptfilm. Darin gab es einen abgrundschlechten Bösewicht und ein engelreines Mädchen, das mit lauter ergreifend schönen Reden am Ende den Bösewicht zum Guten bekehrt hatte und ihn glückstrahlend heiratete. Offenbar hatten ein paar ältere Herren diese Geschichte als sehr sinnreich für Zuchthäusler empfunden und diesen Film deshalb zur Vorführung in unserer edlen Anstalt genehmigt.
Ich kümmerte mich nicht sehr um diese unglaubliche Schwarz-Weiß-Malerei. Kurz nach Beginn des Hauptfilmes hatte Marecci leise neben mir Platz genommen. Er drückte mir drei kleine Kapseln in die Hand und raunte mir zu: »Steck sie in den Mund, wenn du zurückgehst.«
Ich muss zugeben, dass ich nicht sehr von dem Gedanken erbaut war, drei Kapseln Zyankali ungefähr zehn Minuten lang in meinem Mund aufzubewahren.
Aber das unheimliche Gefühl, einen brutalen Tod im Mund an den Wärtern vorbeizutragen, wich zum Glück, als ich wieder in meiner Zelle war.
Ich nahm die drei Giftdöschen wieder zwischen den Zähnen hervor und nahm sie in die linke Hand. Dort waren sie für mich etwas weniger gefährlich.
Die Kinovorstellung hatte um sieben begonnen und musste gegen neun Uhr zu Ende gewesen sein. Als ich wieder meine Zelle betrat, mochte es ungefähr halb zehn sein.
Um zehn Uhr wurde automatisch das Licht in sämtlichen Zellen ausgeschaltet. Bis dahin musste ich mich ruhig verhalten. Solange im Korridor vor meiner Tür noch das Licht brannte, so lange war nichts zu machen, denn am Ende des Flures saß ein Wärter in seiner nach drei Seiten abgeschirmten Glasbox, von wo aus er den ganzen Flur überwachen konnte.
Ich hielt meine linke Hand zur Faust geballt, weil ich darin die drei Giftkapseln verborgen hielt.
Als endlich im Flur das Licht ausging, kroch ich flach auf dem Boden vorn an die Ecke zwischen Zellenwand und Flurgitter. Ich rief leise Bullen Jack.
Er schien mich schon erwartet zu haben, denn er antwortete sofort: »Ja, hat alles geklappt?«
»Alles. Achtung! Das Zeug kommt!«
Ich nahm eine der Kapseln in die rechte Hand und schob meinen Unterarm durch das Gitter. Ich tastete nach links, wo Bullen Jacks Zelle war. Unsere Hände trafen sich auf halbem Weg und er nahm mir das Gift ab. Wir wiederholten das gleiche Spiel noch zweimal, dann hatte ich dem Gangster sämtliche drei Zyankalikapseln zugeschoben.
Ich hatte etwa eine halbe Stunde danach wieder auf meinem Bett gelegen, als ich aus der Glaskabine des Wärters vorn im Flur Lärm hörte. Er rief aufgeregt ein paar Sätze ins Telefon, die ich aber der Entfernung wegen nicht verstehen konnte. Erst als ich mich zum Gitter begab, erhielt ich von Bullen Jack zugeflüstert, was sich wieder zugetragen hatte.
Auf das Magazin war ein neuer, dreister Überfall durchgeführt worden. Die Diebe hatten angeblich seehs Maschinengewehre und eine Unmenge einzelner Faustfeuerwaffen mit der dazugehörigen Munition
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