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0060 - Ich saß im Todesblock

0060 - Ich saß im Todesblock

Titel: 0060 - Ich saß im Todesblock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ich saß im Todesblock
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war ein bärbeißiger Kerl Mitte vierzig und hatte einen Schurrbart, wie man ihn oft bei englischen Sergeanten sehen kann.
    »Was wollen Sie?«, knurrte er mich an.
    Ich stand in der für das Gespräch mit Wärtern vorgeschriebenen strammen Haltung und erbat bescheiden, wie es sich für einen Sträfling vor einem Oberaufseher gebührt, etwas sagen zu dürfen.
    Er nickte gnädig: »Schießen Sie los.«
    »Ich bitte, heute Abend die Kinovorstellung besuchen zu dürfen.«
    Er sah mich missbilligend an.
    »Man sollte meinen, ein Todeskandidat hätte an anderes zu denken, als an Kinobesuche. Es ist überhaupt eine Affenschande, dass man für euch sogar Kinovorstellungen im Zuchthaus durchführt und damit das Geld der Steuerzahler verschleudert. Im Mittelalter wurden die Verbrecher in ein dreckiges Loch geworfen und bekamen Wasser und Brot, bevor man sie vierteilte. Das war vernünftig. Denn das war wenigstens eine deutlich erkennbare Strafe. Heutzutage ist ein Zuchthausaufenthalt ja die reinste Erholungskur.«
    Bei solchen Ansichten wunderte es mich gar nicht, dass Direktor Ronger mit seinen modernen Überzeugungen von einer vernünftigen und humanen Gefangenenbehandlung ständig auf passiven Widerstand stieß. Viele gute Bürger bilden sich dauernd ein, man könne auf die schiefe Bahn geratene Menschen durch Brutalität und nackte Gewalt bessern. Ich konnte nicht umhin, ihm einen ironischen Vorschlag zu unterbreiten: »Schreiben Sie doch der Regierung, man sollte diese Art der Gefangenenbehandlung wieder einführen.«
    Der biedere Oberaufseher war so dumm, dass er meine Ironie nicht einmal merkte. Er sah mich verblüfft an und sagte freundlich: »Donnerwetter! Das ist wirklich ein guter Gedanke. Vermutlich war es der vernünftigste Gedanke, den Sie je in Ihrem Leben gehabt haben, Holeday! Weil Sie so eine blendende Idee hatten, will ich Ihnen die Erlaubnis zum Besuch der Kinovorstellung geben. Aber wir wollen das nicht zur Regel werden lassen. Haben Sie das verstanden?«
    Er kam sich ganz offensichtlich wie die Rechtschaffenheit in Person vor. Ich musste mir auf die Zunge beißen, um ihn nicht herausfordernd ins Gesicht zu lachen.
    Mit demütig gesenktem Kopf murmelte ich überschwänglich meinen Dank für seine huldvolle Gnädigkeit. Ganz und gar vom Gefühl seiner eigenen Würde durchdrungen nickte er noch einmal herablassend und gab dann einem der ihm unterstehenden Wärter den Auftrag, mich zum Block A zu führen, damit ich mir dort den eigens für Zuchthäusler herausgesuchten und von idealer Menschlichkeit triefenden Kitschfilm ansehen könnte.
    ***
    Block A war entschieden der schönste Block innerhalb des ganzen Zuchthauskomplexes. Zwar waren auch seine Fenster und Türen mit den dicken Gittern versehen, wie in jedem anderen Block, aber schon die Fassade wies nicht diese eintönige Gleichförmigkeit auf, die den Zellenblocks anhaftete. Dort lag in sturer Monotonie ein vergittertes Fenster neben dem anderen, hier unterbrachen große Glasflächen die Betonmauer. Diese raumgroßen Fenster waren so geschickt angelegt, dass man weder innen noch außen die vorhandenen Gitter sehen konnte. Sie hatten hier die Funktion gewöhnlicher Fensterkreuze übernommen.
    In diesem vier Stockwerke hohen Gebäude gab es eine Turnhalle, ein Hallenschwimmbad, Diskussionsräume und einen Saal für Theater- oder Kinovorstellungen.
    Der Kinosaal lag in der ersten Etage. Durch ein modern ausgeführtes, hufeisenförmig geschwungenes Treppenhaus kam man zu den beiden großen Einlasstüren. Für jeden Kinobesuch wurden einem von dem bei der Entlassung auszuzahlenden Arbeitsverdienst zehn Cents abgerechnet, die für die Gefängnisbücherei Verwendung fanden. Zu diesem Zweck saßen an den beiden Einlasstüren je zwei Sträflinge und ein Wärter, die die Nummer eines jeden Gefangenen aufschrieben, der das Kino besuchte.
    Die beiden Wärter unterhielten sich meistens miteinander, da das bloße Aufschreiben der Nummern von den vier Sträflingen auch ohne ständige Kontrolle bequem geleistet werden konnte. Diese Gelegenheit hatte ich mir nach Bullen Jacks Anweisungen zunutze zu machen.
    Als ich das Treppenhaus betrat, sorgte ich dafür, dass mich der Strom der Gefangenen auf die linke Seite der Treppe drückte. Dadurch musste ich auch den linken Eingang zum Saal benutzen. Unter den zwei Sträflingen, die hier das Aufschreiben unserer Nummern zu besorgen hatten, befand sich der Italiener Toni Marecci. Ich sah ihn an diesem Abend zum ersten Mal,

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