0062 - Der tödliche Zauber
tausend Menschen aufhalten mußten, die sich alle eingefunden hatten, um gemeinsam das Fest der Schwarzen Madonna von Saintes-Maries-de-la-Mer zu feiern.
Zamorra wußte, daß dieses Fest alljährlich fast sämtliche Zigeuner Europas versammelte. Um sich dieses bunte Treiben einmal anzusehen, deshalb war er mit seinen Freunden auch hierher gekommen.
Natürlich hatte er nicht ahnen können, daß ihr Aufenthalt hier mit solchen Schwierigkeiten beginnen würde.
Delgado Ruiz war ein glänzender Erzähler. Mit ausgesuchter Höflichkeit machte er Zamorra auf den ein oder anderen Wagen aufmerksam, der in seiner Pracht von den anderen besonders abstach.
Zamorra erfuhr, daß jede Sippe ihr eigenes Zeichen hatte, das sich in vielfältig abgewandelter Form in Verzierungen und Schmuckstücken der Sippe wiederfand. Zamorra ahnte, daß unter den Zigeunern keine Armut herrschte, doch wußte er ebensogut, wie das fahrende Volk im Verlauf seiner wechselvollen Geschichte immer wieder verfolgt und vertrieben worden war.
Der Professor gab sich wißbegierig und merkte schnell, daß Delgado Ruiz erfreut war, einen Fremden mit Unbekanntem vertraut zu machen.
Ganz allmählich begann Zamorra dann zum eigentlichen Zweck seines Besuches zu kommen.
»Haben Sie schon von diesem rätselhaften Unfall in Saintes-Maries-de-la-Mer gehört«, begann er. »Ich meine die Sache mit diesem Deutschen, der aussieht wie ein uralter Greis und behauptet, erst zweiunddreißig Jahre alt zu sein?«
Ein verräterisches Zucken glitt über das Gesicht des Zigeuners, doch er schüttelte energisch den Kopf. Übertrieben energisch, fand Zamorra.
»Nein, Monsieur, wie sollte ich. Hier draußen erfährt man überhaupt nichts von dem, was sich im Ort abspielt. Wenn ich ehrlich sein soll, so interessiert das hier auch niemanden. Wir haben genug Sorgen mit uns und unseren Familien, als daß wir Zeit hätten, uns noch um die Sorgen anderer zu kümmern.«
Zamorra wollte sich nicht zufrieden geben.
»Ich hatte Gelegenheit, mich mit dem Mann, sein Name ist Gert Rall, zu unterhalten, Monsieur Ruiz. Dabei hörte ich einige sehr interessante Einzelheiten. Es soll da ein Mädchen eine Rolle gespielt haben, Mercedes hieß sie, glaube ich. Und nicht nur das, sie soll auch ihren Nachnamen tragen – Ruiz. Kennen Sie sie? Oder ist sie vielleicht sogar mit Ihnen verwandt?«
Ruiz zuckte zusammen, als er seinen Namen hörte. Der Ausdruck seiner Augen wurde stumpf und niedergeschlagen. Er senkte den Kopf, seine Lippen bewegten sich, als murmelte er ein Stoßgebet.
Dann schaute er wieder hoch. Sein Blick hatte etwas Zwingendes, Hypnotisierendes an sich.
»Monsieur, ich bitte Sie, reden Sie nie mehr davon. Es ist ein schreckliches Geheimnis, das man besser niemandem erzählt. Es gibt Dinge, die ein Sterblicher niemals verstehen, geschweige denn erklären kann. Wenn die Mächte des Bösen eingreifen, dann kann man nur hoffen, daß man verschont wird. Und sie machen vor keinem Halt.«
Das Leid in den Augen seines Begleiters ließ Zamorra seinen Arm um dessen Schultern legen. Wie zwei alte Freunde gingen sie weiter.
»Monsieur Ruiz, ich glaube, ich kann das Unerklärliche viel besser verstehen als so mancher andere Zeitgenosse.«
Zamorra erzählte dem Zigeuner, womit er sich beruflich zu beschäftigen pflegte. Dann berichtete er von den Abenteuern, die er bereits zu bestehen gehabt hatte. Und er erzählte von den Siegen, die er über die Mächte der Unterwelt schon errungen hatte.
Ruiz schaute ihn skeptisch an. So ganz schien er das nicht glauben zu können.
»Wissen Sie, meine Familie, die ganze Sippe, leidet seit Jahren, seit Generationen, unter einem Fluch, den wir nicht abschütteln können. Und jedes Jahr, wenn wir hierher kommen, findet dieser Fluch ein neues Opfer. Und es sind immer Unschuldige, die dahingerafft werden, nachdem sie schreckliche Freveltaten begehen mußten.«
Zamorra ließ nicht locker. Er wollte wissen, was es mit diesem geheimnisvollen Fluch auf sich hatte. Er ahnte überdies, daß es ihm vielleicht gegeben war, an der Situation etwas zu ändern.
Mit stockender Stimme begann Ruiz seinen Bericht.
»Sie werden jetzt etwas zu hören bekommen, Monsieur, das Sie sich nicht einmal träumen lassen würden. Es ist so ungeheuerlich, daß ich mich schon wundere, dabei noch nicht den Verstand verloren zu haben. Immerhin lebe ich schon mein ganzes Leben mit dem Wissen um dieses schreckliche Geheimnis. Vor mehreren Generationen waren die Sitten und Gebräuche
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