0062 - Der tödliche Zauber
und natürlich von uns Zigeunern immer totgeschwiegen. Wir haben Angst, daß wir erneut verfolgt werden wie in all den Jahrhunderten vorher, und im Ort hat man Angst vor einem Absinken des Touristenbetriebes.«
Zamorra, der bis dahin kommentarlos zugehört hatte, hatte eine Frage auf den Lippen.
»Welche Tochter ist denn in diesem Jahr ausersehen, die Befehle des Schwarzen Branko auszuführen? Könnte es nicht diese Mercedes sein?«
Delgado Ruiz nickte. Sein Gesicht trug einen schmerzlichen Ausdruck.
»Ja; genau weiß ich es nicht, doch ich ahne, daß sie es ist. In der letzten Nacht war sie verschwunden, niemand wußte wohin, und dann war sie plötzlich wieder da und tat so, als sei nichts gewesen. Erst als Sie von dem nächtlichen Ereignis im Hotel berichtete, wurde es mir klar, daß nur Mercedes dieses Jahr die unselige ist. Ich wollte mit meinen Leuten schon abreisen, doch ich kann es nicht; irgend etwas hält mich mit unwiderstehlicher Gewalt hier fest und läßt mich nicht los. Was würde ich dafür geben, wenn dieser Fluch von uns genommen würde. Doch niemand hat bisher den Kampf gegen die Mächte aus der Finsternis aufnehmen können.«
Zamorra erwiderte vorerst nichts darauf. Sie befanden sich wieder auf dem Rückweg zum Lager.
Jetzt fiel dem Professor auch auf, daß überall dort, wo sie vorbeikamen, die Leute die Köpfe abwandten, um sie nicht ansehen zu müssen. Doch auch mancher haßerfüllte Blick wurde ihnen nachgeschickt.
Zamorra konnte sich eines leichten Ziehens zwischen den Schulterblättern nicht erwehren. Wenn er diese Atmosphäre bewußt in sich aufnahm, dann konnte er fast die Vorurteile verstehen, die gegen die Zigeuner in der breiten Masse bestanden.
Nicht wenige behaupteten, daß beim fahrenden Volk die Messer locker säßen. Zamorra mußte dem Vorurteil fast recht geben. Für ihn war jeder Blick wie ein Dolchstich.
Er wandte sich wieder seinem Begleiter zu und wollte etwas sagen – als er es plötzlich hörte.
Es war ein wilder Schrei, voller Todesangst, ausgestoßen in höchster Not. Es war die Stimme einer Frau.
Zamorra erkannte die Stimme sofort.
Sie gehörte seiner Freundin Nicole Duval…
***
Nachdem Zamorra sich mit Delgado Ruiz entfernt hatte, gesellte Nicole Duval sich zu Bill Fleming. Sie setzte sich neben ihn und versuchte ihn aufzumuntern, da seine Laune offensichtlich an einem Tiefpunkt angelangt war.
»Was ist denn mit dir los, Bill«, fragte Nicole ihn. »Das von gerade kann doch jedem mal passieren. Wer weiß, wen du zu sehen glaubtest. Man kann sich ja ruhig mal irren.«
»Aber ich habe mich nicht geirrt«, erwiderte Bill Fleming voller Heftigkeit. »Entschuldige«, sagte er gleich darauf, als ihm bewußt wurde, daß er sich im Ton etwas vergriffen hatte. »Ich bin seit heute nachmittag mit meinen Nerven ziemlich am Ende.«
Er berichtete von seinem Erlebnis am Swimming-pool. Besonders betonte er, daß er überzeugt war, diese Frau habe nur ihn so direkt angeschaut. Auch ließ er nicht unerwähnt, daß der Kellner sich so sonderbar benommen habe.
Nicole Duval hörte sich das ruhig an, dann versuchte sie Bill Flemings Bedenken zu zerstreuen.
»Es ist doch nicht ungewöhnlich, wenn eine Frau, vielleicht sogar noch allein und im Urlaub, einen gutaussehenden Mann anschaut. Heutzutage im Zeitalter der Emanzipation ist das sogar an der Tagesordnung. Was willst du eigentlich? Du hast dir doch immer gewünscht, einmal eine Frau zu finden, die ihren eigenen Willen hat und ihn auch durchzusetzen weiß.«
Bill Fleming schüttelte den Kopf. »Das war ganz anders. Das war keine normale Frau. Die war so hübsch und hatte so etwas Sonderbares an sich. Ich kann dir allerdings nicht beschreiben was.«
Nicole winkte ab.
»Du hast zulange in der Sonne gelegen, das ist alles. Damit du ganz beruhigt bist, können wir uns ja in der Umgebung einmal umschauen. Vielleicht findest du deine Angebetete und bekommst die Gelegenheit nachzuprüfen, ob ihr Blick heute wirklich so auffordernd war.«
Bill Fleming erhob sich entschlossen.
»Endlich mal eine gute Idee, die durchzuführen sich lohnt. Auch Frauen können manchmal denken«, sagte er verunglückt grinsend und erhob sich. Er hakte Nicole freundschaftlich unter und verließ mit ihr den Eßplatz, wo die Frauen nun begannen, aufzuräumen.
Mittlerweile war die Dunkelheit vollständig hereingebrochen.
Überall flackerten Lagerfeuer, um die sich die Zigeuner gruppierten.
Musik klang auf und schaffte eine verträumte
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